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Aufsätze 17-40

 

17. In quadam civitate, quae lingua gentis illius Dowina dicitur. Versuch einer Neulokalisierung

Elf Jahre sind vergangen, seit Martin Eggers in seiner monumentalen Dissertation den Versuch unternommen hat, das Zentrum des traditionellerweise „großmährisch“ genannten Reiches von der March an die Theiß zu verlegen und die aus den Quellen bekannte Hauptstadt „Morava“ mit der „urbs Morisena“ ungarischer Chroniken und damit dem späteren Csanád und heutigen Cenad zu identifizieren. Eggers’ Arbeit ist teils auf heftigen Widerspruch gestoßen, teils auch auf ungeteilte Zustimmung. Hier nun wird versucht, unter Zugrundelegung der Eggers’schen Lokalisierung Moravias auch für eine weitere namentlich bekannte Burg dieses Reiches eine Neulokalisierung vorzunehmen.

Die nur aus den Annales Fuldenses und dem Chronicon des Hermann von Reichenau bekannte Burg Dowina wurde bei der traditionellen Lokalisierung Moravias in Mähren mit Theben (slovak. Devín, magy. Dévény) bei Pressburg (slovak. Bratislava, magy. Pozsony) identifiziert. Die Gleichsetzung stößt jedoch auf sprachliche Schwierigkeiten: das o von Dowina kann nicht aus ě erklärt werden, und alle alten Namensbelege für Theben enthalten in der ersten Silbe einen vorderen Vokal. Dazu kommt das Fehlen passender archäologischer Daten. Eggers hat daher Dowina in der Ungarischen Tiefebene suchen wollen, ohne sich aber auf einen Ort festzulegen. Gegen alle von Eggers erwogenen Gleichsetzungen spricht aber, dass Namen mit o-Vokal in der ersten Silbe die Glossierung der Annales Fuldenses mit id est puella nicht erklären können.

Die Quellen erwähnen Dowina, weil die Einschließung dieser Burg 864 den fränkisch-moravischen Krieg entscheidet. Die bekannten Fakten zum Verlauf dieses Krieges lassen die Vermutung zu, dass Fürst Rastislav unweit der bulgarischen Festung Belgrad (heute Alba Iulia) stand, als er von Westen durch König Ludwig im Tal der Mieresch (rum. Mureş, magy. Maros) eingeschlossen wurde. Dort nun befindet sich die Stadt Diemrich (rum. Deva, magy. Déva), überragt von einem Vulkankegel, auf dessen Spitze sich in römischer Zeit eine Festung befand. Die heutigen Ruinen stammen aus dem 13. Jahrhundert, Archäologen haben aber eine Erweiterung der römischen Bauten im 9. und 10. Jahrhundert feststellen können. Angesichts der nahen bulgarischen Festung Belgrad dürfte Diemrich die Rolle einer Grenzburg gegen Bulgarien zugefallen sein.

Der heutige Name der Stadt sieht dakisch aus (dak. dava oder deva ‘Burg’, ist aber erst seit 1269 belegt und könnte damit magyarisch sein. Älter ist Decidava, wohl die Latinisierung des bei Ptolemaios genannten Δοκίδαυα, das andererseits der von Humanisten gräzisierten Form Dacopolis zu Grunde liegt. Damit scheint vorstellbar, dass der Ort bei der Ankunft der Slaven den Namen *Dava trug, vielleicht neben *Deva.

Das Slavische kannte die Lautfolge ev nur vor Silben mit vorderem Vokal, beispielsweise devętь aus älterem *newntis, während idg. *ne-wos als novъ reflektiert wird. Ein vorgefundenes *Deva hätte somit ebenso wie ein vorgefundenes *Dava als *Dova wiedergegeben worden sein sollen. Die Burg am Orte *Dova hätte slavisch dann *Dovinъgradъ heißen sollen; da im Lateinischen wie Deutschen die Bezeichnung für Burg feminin ist (Burg, civitas, urbs), ist die Überführung von *Dovinъ in Dowina leicht zu verstehen. Das Slavische kennt aber auch eine andere Behandlung der Lautfolge ev in Fremdnamen, nämlich die Ersetzung durch iv (z. B. Pulpudeva ‛Plovdiv’ > Plъpьdiva) oder ěv (belegt ist zumindest das Schwanken zwischen Andreja, Andrěja und Andrije für griech. Ἀνδρέας). Es mag daher neben der slavischen Form *Dova auch eine konkurrierende Form *Děva gegeben haben, die zu der Glossierung id est puella geführt hat.

Wenn Diemrich die Ostgrenze Moravias in Siebenbürgen bezeichnet hat, dürfte sich diese ziemlich genau mit dem mutmaßlichen Herrschaftsgebiet Ajtonys gedeckt haben, das im Westen bis an die Theiß reichte, im Süden bis an die Donau und im Norden bis an die Kőrös, während das Gebiet des gleichfalls gegen den ungarischen König Stephan revoltierenden gyula, den die Slaven Prokuj nannten, sich ostwärts anschloss und die früher bulgarisch kontrollierten Gebiete umfasste. Sicherlich erinnerten sich Slaven hundert Jahre nach dem Untergang Moravias noch einstiger slavischer Staatlichkeit in diesem Raum, so dass es vorstellbar scheint, dass sie Anteil an diesem Aufstand hatten. Vergleicht man zudem die Klage des heiligen Gerhard (magy. Gellért), des ersten katholischen Bischofs von Csanád, über das Wirken von „Methodianistae“ in seiner Diözese, so wird man auch die ostkirchlichen Anfänge Siebenbürgens neu bewerten müssen.


18. Πρὸς τὸ σαφέστερον. Zu Reformen in der glagolitischen Schrift

Ausgehend von der berühmten Stelle in der Legenda Ochridica, an der Kliment die Erfindung klarerer Buchstaben zugeschrieben wird, sollte gezeigt werden, dass es Reformen in der Glagolica gegeben hat, die vielleicht Kliment zugeschrieben werden dürfen. Dass die Erfindung der Kyrillica gemeint gewesen sein könnte, ist abzulehnen: die Kyrillica ist nicht klarer als die Glagolica, zudem selbst in ihren ältesten Zeugnissen zu jung, als dass sie mit Kliment verbunden werden könnte.

Reformen in der Glagolica anzunehmen setzt voraus, dass die Urglagolica Konstantins entgegen verbreiteter anderer Überzeugung keineswegs vollkommen gewesen ist. Die nachweisbaren Mängel finden ihre Erklärung teils in griechischem und armenischem Schriftdenken, teils in davon unabhängigen Systemfehlern, die nie beseitigt worden sind.

Mit dem Namen Kliments lassen sich nur solche Reformen verbinden, die die Beseitigung von Mängeln in der klassischen Glagolica zur Folge hatten. Der Verdacht stattgehabter Reformen stellt sich bei einander ähnlichen Graphemen der klassischen Glagolica ein, die durch Differenzierung aus einem gemeinsamen Grundzeichen abgeleitet werden können (drittes i- und drittes o-Zeichen, zweites Jerzeichen), außerdem bei Digraphen (Nasalvokalzeichen).

Der Grund für die Notwendigkeit von Nachbesserungen könnte außer in mangelnder Sprachkompetenz bei dem Nichtslaven Konstantin-Kyrill auch darin zu suchen sein, dass das Uraltkirchenslavische Konstantins eine andere Dialektgrundlage hatte als das Klassisch-Altkirchenslavische. Die scheinbaren Mängel der Urglagolica lassen sich durch die Annahme einer ostbulgarischen Dialektgrundlage erklären. Der lange Aufenthalt der Slavenlehrer in Bithynien macht eine ostbulgarische Dialektgrundlage des Uraltkirchenslavischen wahrscheinlich, denn die bithynischen Slaven stammten aus Nordostbulgarien.

Das щ-Zeichen wird hier als ursprüngliches Graphem für ψ verstanden, das erst in Makedonien zu šč umgedeutet wurde.

Der umstrittene Bestand an urglagolitischen Graphemen lässt sich mit dem aufgrund ihrer Verwendung als Zahlenzeichen anzusetzenden Umfang von 36 Zeichen (4 Enneaden) in Deckung bringen, wobei allein die Position des f und des zweiten ch sich nicht sicher bestimmen lassen.

 

19. Die römische Mission Konstantins des Philosophen. Zur byzantinischen Diplomatie der 60er Jahre des 9. Jahrhunderts

Die Tatsache, dass Konstantin-Kyrill sich von Moravia aus nach Rom und nicht nach Konstantinopel gewendet hat, um seine Schüler weihen zu lassen, hat oft Erstaunen hervorgerufen und hat sogar zu Spekulationen geführt, die Slavenlehrer hätten mit dem Patriarchat von Konstantinopel gebrochen (so Pastrnek). Diese überraschende Wendung findet jedoch eine Erklärung, wenn man berücksichtigt, dass Konstantin als rhomäischer Diplomat bei dieser Gelegenheit auch die Clemensreliquien nach Rom transferiert hat. Aus dem Wert des Geschenks und unter Berücksichtigung der damaligen Reisezeiten ergibt sich jedoch (anders als bei Uchanova), dass die Transferierung im Auftrage von Kaiser und Patriarch erfolgt sein muss, und dass Konstantin diesen Auftrag bereits vor Antritt der moravischen Mission erhalten hat; es ist sogar wahrscheinlich, dass die Auffindung der Reliquien mit dem Ziel erfolgte, diese nach Rom zu transferieren, um damit politische Ziele zu erreichen.

Über den politischen Auftrag Konstantins lässt sich nur spekulieren. Uchanova rechnet damit, dass das großherzige Geschenk dazu dienen sollte, den Streit um Photios beizulegen. Diese Annahme kann jedoch den Umweg Konstantins über Moravia nicht erklären. Hier wird nun angenommen, dass die Reise Konstantins nach Moravia und Rom dazu dienen sollte, die illyrische und die damit eng zusammenhängende Frage Bulgariens und der slavischen Missionsgebiete zu klären. In diese Richtung deutet die Bereitschaft Photios’ zur Rückgabe der fraglichen Gebiete in einem Schreiben vom Sommer 861. Wenn Papst Nikolaus I. mit seinem Urteil in der Frage der Besetzung des konstantinopolitanischen Stuhls, die er von Zugeständnissen des Reiches hinsichtlich Bulgariens abhängig machte, bis zum Sommer 863 zögerte, so erklärt sich mit dem Warten auf einen rhomäischen Gesandten.

Das plötzliche Interesse Konstantinopels an der Beilegung des Konflikts um das Illyricum findet seine Erklärung in der Gefahr eines neuen fränkisch-bulgarisches Bündnisses, das Anfang des 9. Jahrhunderts zu einer dramatischen Bedrohung für das Reich geworden war und Kaiser Michael I. Rhangabe zur Unterzeichnung des schmählichen Friedens von Aachen genötigt hatte. Auf diesem Hintergrund ist zu vermuten, dass Konstantinopel bereit war, das Illyricum an Rom zurückzugeben, dazu die slavischen Missionsgebiete (Moravia), wenn im Gegenzug seine Ansprüche auf Bulgarien in den aktuellen Grenzen (also unter Einbeziehung von Teilen des ehemaligen Illyricums) anerkannt würden.

Die Frage der slavischen Liturgiesprache stellte sich Rastislav sicher nicht, denn in der ganzen ihm bekannten Welt gab es dafür kein Vorbild. Auch Konstantinopel hatte kein Interesse an der Schaffung einer slavischen Liturgiesprache, denn für die Slaven auf Reichsgebiet wurde sie nicht geschaffen und auch später nicht übernommen. Zum Einsatz kam sie nur in Gebieten, die Rom unterstehen sollten, so dass sich der Verdacht einstellt, dass die eigene Liturgiesprache als Trojanisches Pferd gedacht war, die im römischen Lager Unfrieden stiften und zu Spaltungen führen musste. Dass sich freilich die Methodschüler nach ihrer Vertreibung ausgerechnet nach Bulgarien wenden würden und dass so die Waffe, die die Einheit des Westens untergraben sollte, Slaven und Bulgaren einen und sie bestärken würde in ihrem Widerstand gegen Hellenisierungsbemühungen, konnte auch der listenreiche Photios nicht voraussehen.

 

20. Symeon Stylites

C. Detlef G. Müller vergleicht die Styliten insgesamt mit Magiern, und W. Stewart McCullough attestiert Symeon Stylites (†459) ein Gespür für die Kunst, sich wirkungsvoll in Szene zu setzen. Von diesem Vorwurf ausgehend, wird hier zunächst das Leben Symeons des Älteren dargestellt. Wichtiges Ergebnis ist dabei, dass Symeon seine exzessive Askese nur dank der Hilfe anderer durchhalten konnte. Auch weckte seine Lebensweise neben Bewunderung schon bei Zeitgenossen Zweifel an seiner Integrität und Rechtgläubigkeit; die Zweifel verstummten allerdings nach dem Tode des Heiligen.

Symeon hat zahlreiche Nachahmer gefunden, und das nicht nur im Orient, sondern auch bei Griechen und Slaven. Der erste slavische Stylit war im 10. Jahrhundert Ioann von Rila. Im 13. Jahrhundert wird die Askese Petrs von Koriša, obwohl er nie eine Säule bestiegen hat, in seiner Vita mit dem Stylitentum verglichen. In der Rus’ hat im 12. Jahrhundert Kyrill von Turov als Erster eine Zeitlang als Stylit gelebt, bevor er Bischof wurde. In der Gestalt Savvas von der Višera kennt Russland aber auch ein anderes Stylitentum, das sich im Verborgenen abspielt und frei ist von effektheischender Selbstzurschaustellung, dabei eingebunden in das liturgische Leben der Gemeinde. Ähnliches gilt im 18. Jahrhundert für Serafim von Sarov, den Erneuerer des Starzentums in Russland. Während das Stylitentum im Osten verbreitet war, hat es im lateinischen Westen nie Fuß fassen können; nur ein einziger Fall eines Versuchs, als zu Stylit zu leben, ist aus dem Frankenreich im 6. Jahrhundert überliefert.

Auffällig ist, dass abgesehen von Savva Višerskij und Serafim Sarovskij die Styliten stets die Nähe großer Städte gesucht haben, wo sie Unterstützung und ein Publikum fanden. Der Aspekt des fehlenden sozialen Nutzens solch privater Askese wird auch von Luis Buñuel in seinem Film Simeón del desierto (Mexiko 1965) hervorgehoben.

Nichtsdestoweniger haben die Styliten mit ihrer schroffen Askese Anerkennung und Bewunderung geweckt, und das nicht nur bei Christen: der frühe Islam sah in ihnen Vertreter des wahren Christentums und begegnete ihnen mit Hochachtung, auch heißt es, das Minarett verdanke Form und Funktion den Säulen syrischer Asketen.

 

21. Rьci slovo tvrьdo. Ein Zungenbrecher für Slaven?

Die slavischen Buchstabennamen bildeten — anders als die griechischen, armenischen, georgischen, gotischen oder syrischen — ursprünglich einen fortlaufenden sinnvollen Text, von dem freilich nur fünf Kurzsätze einigermaßen sicher rekonstruierbar sind. Der fünfte wird von den Buchstabennamen für r, s und t gebildet und lautet: rьci slovo tvrьdo. K. Ericsson übersetzte den Satz 1970 mit ‘say a strong word’; dagegen ist einzuwenden, dass slovo im Kirchenslavischen nicht das Einzelwort bezeichnet, sondern ein Syntagma, außerdem legt den Kontext für tvrьdo eher die Bedeutung ‘schwierig’ nahe wie im Čakavischen, Alttschechischen und Altrussischen. So verstand den Satz auch V. Tkadlčík, der ihn 1971 auf die folgenden Buchstabennamen ukъ, frъtъ und chěrъ bezog. Er deutete diese drei unslavischen Wörter als griechische οὐκ, φέρετε und χαῖρε, was allerdings kein sinnvolles Syntagma ergibt. Außerdem steht in frühen Abecedarien statt ukъ als Buchstabenname hic oder ik, so dass kein Monograph für /u/ gemeint sein wird, sondern die Entsprechung zu griechischem Ypsilon, das alleinstehend bei Gebildeten damals noch /ü/, nicht /i/, gelesen wurde. Das slavische Alphabet besaß ursprünglich ebenso wie die anderen christlichen Missionsalphabete nach griechischem Vorbild nur einen Digraph zur Darstellung des Phonems /u/. Da es ein griechisches Wort *υκ- nicht gibt, ist wohl an das homophone οἶκος ‛Haus’ zu denken. Auf das unslavische Phonem /ü/ folgt das ebenso unslavische /f/, wobei frъtъ statt als φέρετε vielleicht besser als stärker volkssprachliches φέρτε gelesen werden sollte. Das dritte Wort allerdings beginnt mit dem Phonem /x/, das für einen Slaven nicht schwierig gewesen sein kann. Nun besaß die Glagolica ursprünglich zwei Zeichen für /x/, von denen eines in slavischen, das andere in griechischen Wörtern vorkam. Wie ich bereits in meinem Artikel Ex Armenia lux nachzuweisen versucht habe, war Konstantin-Kyrill möglicherweise Armenier, und auch das Armenische unterscheidet ein einheimisches /x/ von einem /kh/ in griechischen Namen. Konstantin-Kyrill wollte also den Slaven vielleicht eine Realisierung des griechischen χ als /kh/ (und des griechischen φ als /ph/ nahe legen. Die von den drei Buchstabennamen vertretenen Phoneme wären dann /ü/, /ph/ und /kh/, die alle drei für Slaven schwer auszusprechen gewesen sein müssen.

Welches sinnvolle griechische Syntagma hinter den Buchstabennamen *ükъ, phrъtъ und khěrъ zu suchen ist, kann nicht mit Sicherheit bestimmt werden; anbieten würde sich *οἶκον φέρτε χε(ι)ρί, ‘tragt das Haus mit der Hand’. Ein solcher Satz begönne nicht nur in drei aufeinander folgenden Wörtern mit schwierigen Lauten, auch inhaltlich beschriebe er Unmögliches und entbehrte somit nicht jenes sympathischen Humors, der bereits in dem einleitenden Kurzsatz Azъ buky vědě ‘Ich kann die Buchstaben’ erkennbar geworden ist.


22. Zum Standort des Kroatisch-Kirchenslavischen Ende des 20. Jahrhunderts

Die kirchenslavische Schriftsprache wurde nicht nur für die Slaven Moravias geschaffen, sondern richtete sich, wie dem Brief Rastislavs nach der Konstantinsvita zu entnehmen ist, von Anfang an auch an die benachbarten slavischen Stämme, darunter die Kroaten. Anders als bei den orthodoxen Slaven und den Rumänen stand das Kirchenslavische in Kroatien jedoch in Konkurrenz zu dem als überregionaler lingua sacra prestigeträchtigeren Latein. Wie auch anderswo in der slavischen Welt drangen in Kroatien volkssprachliche Elemente in die Schriftsprache ein; im Gegensatz zur Slavia Orthodoxa wurden hier aber die Normierungsbemühungen des 14. und 15. Jahrhunderts nicht rezipiert, obwohl umgekehrt Konstantin von Kostenec die Kroaten in seinem Traktat sehr wohl berücksichtigt hatte. Stattdessen entstand in Kroatien früher als anderswo in der Slavia eine neue Schrift- und Literatursprache als Amalgam aus Kirchenslavisch und der čakavischen, teils auch kajkavischen oder štokavischen Volkssprache, in der auch religiöse Literatur abgefasst wurde. Das gilt in besonderem Maße bei Protestanten. Im Zusammenhang mit der Gegenreformation wurde auch der liturgische Gebrauch des Slavischen von Rom sogar gefördert, allerdings nicht wie bei den Protestanten der der slavischen Volkssprache, sondern der der neuen kirchenslavischen Norm, die von ruthenischen Gelehrten geschaffen worden war. Dabei dürfte die Tatsache, dass Meletij Smotryc’kyj zur Union übergetreten war, von ausschlaggebender Bedeutung gewesen sein. Von 1631 bis 1893 wiesen daher die glagolitischen liturgischen Bücher aus Kroatien ein ostslavisiertes Kirchenslavisch auf, das zunehmend mit dem von Orthodoxen verwendeten Synodalkirchenslavischen identisch war und sich nurmehr durch den Gebrauch der Glagoljica von diesem unterschied. Erst 1893 führte der glagolitische Priester Dragutin Antun Parčić das Kroatisch-Kirchenslavische des 16. Jahrhunderts wieder in die liturgischen Bücher ein. Das gilt so bis heute, nach 1927 freilich nicht mehr in glagolitischer, sondern in lateinischer Schrift.

Der vorliegende Beitrag untersucht die heute in Kroatien verwendete kirchenslavische Liturgiesprache anhand des Vesperals von 1999 und weist darin eine Fülle von Inkonsequenzen nach. Die Sprache unterscheidet sich kaum von der des glagolitischen Erstdrucks von 1483, nur wenige veraltete Ausdrücke sind ersetzt worden, und das völlig inkonsequent. In anderen Fällen ist die Sprache des Vesperals von 1999 sogar archaischer als die des Erstdrucks und orientiert sich am Altkirchenslavischen, wobei auch misslungene Gelehrtenkonstrukte nicht fehlen. Derartige Inkonsequenzen waren schon 1983 von Mareš bemerkt worden, der sie jedoch verteidigte und das Fehlen einer einheitlichen Norm geradezu zur „Norm“ des Kroatische-Neukirchenslavischen erklärte. Anders als bei neukirchenslavischen Texten aus Russland, in denen die Sprache behutsam an das Russische angenähert wird, damit die Texte den Gläubigen verständlich bleiben, erweist sich das aus archivarischem Geist geborene Neukirchenslavische Kroatiens als gelehrte Spielerei und bloßes Decorum der liturgischen Praxis. Die Texte des Vesperals  von 1999 sind in einem Kirchenslavisch gehalten, das hinter den Adaptierungen des Mittelalters zurückbleibt und für sein Verständnis eigentlich ein Studium der Slavistik erfordert.


23. Das Šafařík-Triodion und das Ende der Digraphie

Die von Konstantin-Kyrill geschaffene Schrift, die Glagolica, wurde in Bulgarien wenige Generationen nach den Slavenlehrern von der Kyrillica abgelöst. Das älteste heute bekannte Denkmal ist das Vatikanische Palimpsest, das frühestens in das 10., eher in die zweite Hälfte des 10. oder Anfang des 11. Jahrhunderts zu datieren und nach Ostbulgarien zu setzen ist. In Makedonien ist das älteste kyrillische Denkmal (abgesehen von Inschriften) der Codex Assemanianus, der ebenfalls Ende des 10. oder Anfang des 11. Jahrhunderts datiert wird. Mit dem Schriftwechsel wird daher bereits um das Jahr 1000 gerechnet und meist auch damit argumentiert, die glagolitische Schrift sei schwierig gewesen. Allerdings war auch bisher schon bekannt, dass die Ablösung der Glagolica durch die Kyrillica ein länger währender Prozess war, und noch um die Wende vom 11. zum 12. Jahrhundert in Makedonien glagolitische Denkmäler entstanden sind, etwa das Menaion sinaiticum; glagolitische Textteile fand man schließlich noch im 12. Jahrhundert, so im Ochrider Apostolos. Es ist das letzte Denkmal, das immerhin noch eine ganze Seite in glagolitischer Schrift zeigt.

Dass damit die Geschichte der Glagolica in Bulgarien nicht endet, zeigt das Šafařík-Triodion (РНБ, F. п. 74) der Russischen Nationalbibliothek, der in das zweite Viertel des 13. Jahrhunderts datiert wird. Diese Handschrift enthält drei glagolitische Texte, was zwar seit 1876 bekannt ist, bisher aber zu keinen einschlägigen Untersuchungen geführt hat. Die hier vorgelegte Beschreibung beruht auf Einsichtnahme in die Handschrift im August 2003.

Die glagolitische Schrift in diesem Denkmal ist noch die runde und ähnelt am meisten der des Ochrider Apostolos. Die Texte selbst sind anderweitig schon bekannt und bieten nichts Überraschendes. Wichtig ist hier aber, dass die Texte, die fünf verschiedenen Troparien entstammen, nicht nachträglich eingefügt, sondern von derselben Hand, die auch den kyrillischen Text schrieb, notiert worden sind, wobei der Schriftwechsel im selben Text und sogar innerhalb eines Wortes erfolgen kann. Das lässt nur den Schluss zu, dass der Schreiber mit beiden Schriften und deren orthographischen Usancen vertraut war. Auf diesem Hintergrund ist die Vermutung Stančevs, die kyrillische Schrift habe sich schon seit 1000 als Alltagsschrift durchgesetzt, nicht zu halten; das Gegenteil scheint der Fall zu sein: es scheint, dass für den Schreiber des Šafařík-Triodions die Glagolica noch Alltagsschrift war, obwohl zu seiner Zeit die Kyrillica schon die Normalschrift in liturgischen Codices war, so dass er bei Unaufmerksamkeit infolge von Ermüdung gelegentlich in die vertrautere und flüssiger zu schreibende Glagolica auswich. Die endgültige Aufgabe der Glagolica ist dann vermutlich mit dem Mongolensturm und der anschließenden Vormachtstellung des Serbischen in Zusammenhang zu bringen.


26. Волхомъ бо нашедшем на Словѣни на Дунаиския. Spuren eines vergessenen Volkes im Donaubecken

In der altrussischen Chronik findet sich unter dem Jahre 6406 (= 898) eine Erinnerung an die ungarische Landnahme, in der ein Volk der „Volochen“ (волхї) erwähnt wird, das vor der Eroberung des Karpatenbeckens durch die Ungarn über die pannonischen Slaven geherrscht habe. Die „Volochen“ sind bisher meist unhinterfragt mit Rumänen (Wlachen) identifiziert worden. Die ausführlichere Darstellung der ungarischen Landnahme in der Gesta Hungarorum des Anonymus P. nennt als Vorbewohner des Karpatenbeckens „Sclaui, Bulgarii et Bachii ac pastores Romanorum“. Dabei ist ac nie explikativ, so dass die „Blachii“ eine von den „pastores Romanorum“ unterschiedene Gruppe darstellen müssen.

Gy. Kristó identifizierte 1978 die „Blachii“ mit Rumänen und die „pastores Romanorum“ mit Vertretern des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation, doch dürften fränkische Krieger kaum als „pastores“ zu bezeichnen sein. Da die „pastores Romanorum“ nur westlich der Donau bezeugt sind, wird man sie allerdings auch nicht für Rumänen halten wollen. Die „Blachii“ hingegen sind in Südsiebenbürgen zu lokalisieren, wo ihr Fürst Gelou namentlich bekannt ist. Dieser Name ist aber weder romanisch noch slavisch deutbar, eher (so E. Szentpétery), türkisch. Der Versuch, die „Blachii“ mit bekannten Turkstämmen, die in Siebenbürgen nachweisbar sind, zu verbinden, führt zu keinen eindeutigen Ergebnissen, doch muss damit gerechnet werden, dass sich unter dem Volochennamen eine nicht näher identifizierbare Oγurengruppe (Hunnobulgaren, Onoγuren, Sabiren, Chazaren oder Restavaren) verbirgt, ein vergessenes Turkvolk mitten in Europa.


27. Μόνον μόνως μόνου. Übersetzungsprobleme anhand von Triadika des Theodoros Studites

Anders als die spätere Kirchendichtung des Westens sind die altkirchliche und die auf sie zurückgehende orthodoxe Hymnographie nicht lyrisch, sondern panegyrisch und dogmatisch. Ein Vertreter theologisch anspruchsvoller Dichtung ist Theodoros Studites (759–826). Das gilt insbesondere für seine Triadika, d.h. Troparien auf die heilige Dreiheit, die  innerhalb mancher Kanones vor dem abschließenden Theotokion jeder Ode stehen. Der Untersuchung liegen 26 slavische Triadika aus insgesamt drei Oden des Theodoros Studites zugrunde, wobei für 24 davon die griechische Vorlage bekannt ist. Fünf Triadika sind jeweils zweimal übersetzt worden, so dass es nur 19 unterschiedene griechische Vorlagen gibt.

Der Vergleich der slavischen Übersetzungen in verschiedenen Handschriften zeigt das mühevoll Ringen um den theologischen Sinn und die Entwicklung einer theologisch präzisen Terminologie. Schwierigkeiten bereitete aber nicht nur die theologische Terminologie, oft hatten die Übersetzer auch Probleme mit der Grammatik der griechischen Hochsprache. Dennoch haben die namenlosen slavischen Übersetzer die griechischen Ausgangstexte keineswegs blindlings, mechanisch und ohne Verständnis übersetzt, wie man es ihnen manchmal unterstellt hat, vielmehr ist es ihnen in aller Regel gelungen, selbst dann verständliche und theologisch korrekte Texte zu schaffen, wenn sich ihnen – aus welchen Gründen auch immer – der eigentliche Sinn der Vorlage nicht erschloss. Dafür verdienen sie unsere Hochachtung: sie haben mit weit bescheideneren Hilfsmitteln als jenen, die uns heute zur Verfügung stehen, Übersetzungen geschaffen, die oftmals nicht nur nicht schlechter waren als die von uns Heutigen, sondern manchmal die ursprünglichen Texte sogar besser wiedergeben als moderne Übersetzungen.


28. Wie König Ladislaus Chan Batu erschlug

In russischen Chroniken findet sich zuerst Ende des 15. Jahrhunderts die merkwürdige Erzählung vom Tode Chan Batus in Ungarn durch die Hand des ungarischen Königs Ladislaus. Hier wird behauptet, Chan Batu sei nach Westen gezogen bis zur Stadt Varadin [d.i. Wardein, heute Oradea in Rumänien], die er eingeschlossen habe. Der damalige ungarische König Ladislaus habe auch über Tschechen, Deutsche und das Küstenland geboten, außerdem sei er heimlich orthodox gewesen, getauft vom serbischen Bischof Sava. Angesichts der Notlage seines Landes habe sich Ladislaus gegen die feindliche Übermacht nicht anders zu helfen gewusst, als in seiner Stadt Varadin eine Säule zu besteigen und Gott um Hilfe anzuflehen. Von dort oben musste er mit ansehen, wie seine Schwester Rislava vom Feind gefangengenommen und zu Batu gebracht wurde. Auf das Gebet des Königs erschienen ein magisches Ross samt Streitaxt und eine Stimme, die ihm den Sieg verhieß. Daraufhin stieg er von der Säule und schlug den Feind in die Flucht. Chan Batu floh mitsamt der Schwester des Königs bis zu den Ungarischen Bergen, wo es zum Zweikampf mit König Ladislaus kam. In dem Kampf ergriff das Mädchen die Seite des Tataren und wurde daher von ihrem Bruder mit einem Hieb zusammen mit dem Tataren getötet. Nach dem vollständigen Sieg wurden alle Tataren, bis auf die, die sich taufen lassen wollten, niedergemacht, und in der Stadt Varadin zum Andenken an das Ereignis eine Säule mit dem Standbild des Königs mit hoch erhobener Streitaxt errichtet, das – so die Chronik – bis auf diesen Tag stehe.

Die Legende weckte im 19. Jahrhundert das Interesse russischer Historiker, die beste Untersuchung ist noch immer die von S. P. Rozanov von 1916/17. Er glaubte, die Legende sei in Wardein entstanden, und zwar ausgelöst durch einen Tatareneinfall 1282 und ausgehend von einem dort vorhandenen Reiterstandbild, angereichert um Motive aus der Legende des heiligen Königs Ladislaus (1077–1095). Die mündliche Überlieferung sei von einem Serben aufgezeichnet worden und von Serbien Mitte des 15. Jahrhunderts nach Russland gekommen.

In der vorliegenden Arbeit wird versucht zu zeigen, dass in die Sagengestalt des Ladislaus mehrere historische Herrscher eingeflossen sind: neben Ladislaus dem Heiligen auch Ladislaus IV. (1272–1290) und Ladislaus V. Postumus (1440–1457), der tatsächlich außer über Ungarn auch über Tschechen und Deutsche herrschte, ferner auch der siebenbürgische Woiwode Andreas Lackfi (Ladislaussohn), der 1342 nach einen Sieg über Tataren zur Landnahme in der späteren Moldau schritt, dann der moldauische Hospodar Ladislaus (Laţco, 1365–1374), der tatsächlich kryptoorthodox war, und schließlich der größte Herrscher der Moldau, Stefan der Große (1457–1504), der 1475 Siege über Tataren und Türken errang. An ihn erinnert ein scheinbarer Fehler in einer russischen Variante der Legende aus Smolensk, wenn sie Chan Batu den Tod in Ungarn von der Hand des Königs Stefan erleiden lässt. Auch in die Gestalt Chan Batus sind mehrere historische Personen eingeflossen: zunächst den Kumanenhäuptling Osul, gegen den Ladislaus der Heilige kämpfte, dann nach dem historischen Chan Batu der Tatarenfürst Athlamos, der auch im serbischen Alexanderroman eine Rolle spielt, schließlich Meḥmed Hōǧa, dessen Hinrichtung 1358 zwei Jahre später zum Ende der Dynastie der Batuiden führte.

Ferner betrachtet die vorliegende Untersuchung auch die moldauische Überlieferung zum Legendenkreis um König Ladislaus und Chan Batu bis zur Nacherzählung der Legende bei Dimitrie Cantemir (1673–1723). Es erweist sich als wahrscheinlich, dass die Legende, wie sie in russischen Chroniken vorliegt, in der Moldau und unter Stefan dem Großen entstanden ist, und zwar im Kontext eines moldauischen Anspruchs auf das Erbe Roms, nachdem Tărnovo, das sich, bevor es 1393 von den Osmanen erobert wurde, als Neues Konstantinopel verstanden hatte, untergegangen war, und bevor Moskau den Anspruch erhob, nach Konstantinopel das Dritte Rom zu sein.


29. Dalmatinische Bezüge im „serbischen“ Alexanderroman

Der sog. „serbische“ Alexanderroman ist zuerst 1389 im Nachlass eines Kaufmanns aus Zadar bezeugt, also aus demselben schicksalhaften Jahr, als die Schlacht auf dem Amselfeld die serbische Selbständigkeit beendete. Die bedeutendste christliche Macht des Raumes, Ungarn, mit dem Kroatien und Dalmatien in Personalunion verbunden waren, war nach dem Tode Ludwigs des Großen 1382 zerstritten zwischen Anhängern des Luxemburgers Sigismund, der mit Ludwigs Tochter Maria verlobt war, und des Anjou Karl von Durazzo, der von Ludwig vor der Geburt Marias zum Banus von Kroatien und Dalmatien ernannt und damit zum Nachfolger des Königs designiert worden war. 1375 hatte Karl zwar auf die Thronfolge in Ungarn verzichtet und dafür seine Ansprüche auf das Königreich Neapel anerkannt bekommen, dennoch holte ihn die Partei der Unzufriedenen unter Leitung des Priors des Johanniterordens, Ivan Paližna, und der Brüder Ladislaus und Ivan Horvat nach Ungarn, wo er am 31. Dezember 1385 in Stuhlweißenburg zum ungarischen König gekrönt wurde. Nur fünf Wochen später fiel er einem Mordkomplott, bei dem auch von Gift gemunkelt wurde, zum Opfer. Zu den Drahtziehern des Komplotts gehörte die Witwe Ludwigs, Elisabeth Kotromanić. Nach der Ermordung Karls II. kam es in Kroatien, Slavonien, Bosnien und Dalmatien zu offener Rebellion, wobei sich die Rebellen der Unterstützung durch den bosnischen König Tvrtko versicherten. Der Bürgerkrieg sollte bis 1403 währen, als es Sigismund schließlich gelang, die Aufständischen zu schlagen; Karls Sohn Ladislaus von Neapel ging außer Landes, nachdem er die von ihm gar nicht mehr kontrollierten dalmatinischen Städte an Venedig verkauft hatte.

Die hier skizzierten politischen Ereignisse nach dem Tode Ludwigs des Großen haben Niederschlag im „serbischen“ Alexanderroman gefunden. Auf den Einfluss der Zeitpolitik auf den „serbischen“ Alexanderroman hatte schon 1960 der ungarische Slavist László Hadrovics im Falle der Ersetzung des Skythenfeldzugs durch einen gegen Kumanen unter Athlamos (gemeint sind Tataren) hingewiesen, erneut Trunte 1994 für die Giftmordszene im Alexanderroman, die nach den tatsächlichen Ereignissen im Zusammenhang mit der Ermordung Karls II. gestaltet ist. Weitere Parallelen weist die vorliegende Arbeit auf. So passt der Katalog der Verbündeten Alexanders ziemlich genau zu den Anhängern Karls II., ebenso der Zug Alexanders nach Rom zu dem Karls II. von 1378. Der Alexander des „serbischen“ Alexanderromans ist mithin nach dem Vorbild Karls II. gestaltet, und der Adressat des Werkes kann nur König Tvrtko sein, so wie der vorausgegangene hypothetische ungarische Alexanderroman laut Hadrovics Ludwig dem Großen gewidmet gewesen sein soll und die mittelgriechische Version aus dem Slavischen, wie Kristophson wahrscheinlich gemacht hat, dem albanischen Nationalhelden Gjergj Kastrioti Skënderbeu. Tvrtko und Skanderbeg verbindet ihr Kampf gegen die Türken, nach byzantinischer und folglich auch slavischer Terminologie: die Perser.


30. я҆́сенъ сотворѧ́ти ра́зyмъ. Theorie und Praxis der Übersetzungen des Paisij Veličkovskij

Das Hauptwerk des neuen Heiligen Paisij Veličkovskij (1722–1794) ist sicherlich seine fast vollständige Übersetzung der Φιλοκαλία unter dem Titel Добротолю́бїе, ein Werk, das auf die russische Starzenbewegung ungeheuer befruchtend gewirkt hat. Paisij hat aber nicht nur übersetzt, sondern auch theoretische Erwägungen zum Übersetzen vom Griechischen in das Kirchenslavische angestellt. Eine Schwierigkeit sah er dabei im Fehlen eines bestimmten Artikels im Slavischen, was sich aber durch die Verwendung von Pronomina und den bestimmten Formen von Adjektiven und Partizipien ausgleichen ließ; schwerer wog oftmals die Unmöglichkeit, zwischen Subjekt und Objekt zu unterscheiden (Homonymie von Nominativ und Akkusativ bei Maskulina auf -ъ, Feminina auf  und Neutra). Hier ersann er, angeregt vom Syrischen, als Abhilfe diakritische Punkte zur Markierung des Objekts, eine Praxis, die teilweise offenbar noch von seinen Schülern fortgeführt wurde.

Paisij fühlte sich dem Prinzip der wortwörtlichen Übersetzung verpflichtet, war sich aber bewusst, dass die Befolgung dieser Regel in Konflikt mit den Eigenarten der Zielsprache führen konnte und entschied sich in seinen Erwägungen zur Übersetzungstechnik im Zweifelsfall für die Beachtung der Regeln der Zielsprache. An ausgewählten Beispielen wird gezeigt, wie weit Paisij vom Prinzip der Wortwörtlichkeit abzuweichen bereit war. Auffällig sind dabei vor allem neu gebildete Komposita, die ihm offenbar klarer schienen als die traditionellen.

Das Prinzip der Wortwörtlichkeit erstreckte sich freilich nicht auf griechische Vorlagen in der Volkssprache. Obwohl er manchmal durchaus Russismen gebrauchte, wo sie ihm klarer schienen als die kirchenslavischen Konstruktionen, sah er im zeitgenössischen Russisch offenbar nicht das Pendant zur griechischen Volkssprache und übersetzte daher auch diese Vorlagen ins Kirchenslavische. Die slavische Sprache war für ihn nur eine: die kirchenslavische, die einzelne Elemente aus dem Russischen entlehnen konnte, nie aber ihren grundsätzlich kirchenslavisch-hochsprachlichen Charakter verlor.

Paisij war allerdings der letzte mit diesem Sprachverständnis: nur ein halbes Jahrhundert nach seinem Tode hat sich nicht nur in der Welt das Russische gegen das Kirchenslavische völlig durchgesetzt, 1847 erschien sogar der erste Band der Werke des Heiligen in der neurussischen Übersetzung des Starzen Makarij.


31. Rhomäische Kaiser in slavischer Hymnographie – Zeugnisse eines schwierigen Verhältnisses

Die orthodoxe Hymnographie besingt nicht nur Märtyrer, Wüstenväter, Kirchenlehrer und alttestamentliche Propheten, sondern auch rhomäische Kaiser. Zuvörderst gilt das für Konstantin den Großen, der zwar erst auf dem Totenlager die Taufe empfangen hat, der aber wohl schon 312/13 persönlich die Hinwendung zum Christentum vollzogen hatte. Von der Heiligkeit Konstantins des Großen leitet sich die aller späteren rhomäischen Kaiser ab. Obwohl für die Gültigkeit der Kaiserwürde die Akklamation durch Heer, Senat und Volk für konstituierend erachtet wurde, agierten diese drei im Verständnis der Zeit doch nur als Werkzeuge Gottes bei der Erwählung des Kaisers.

Hatte Kaiser Konstantin noch das Attribut divus für sich vermieden, zeigten seine Nachfolger in dieser Hinsicht weniger Scheu. Im 9. Jahrhundert konnte die Heiligkeit des Kaisers nicht nur durch θεῖος, sondern bereits durch das Adjektiv ἅγιος bezeichnet werden. Anspruch auf den Titel der Heiligkeit hatten die Kaiser seither allein aufgrund des Amtes, was aber nicht bedeutete, dass sie ähnlich wie Konstantin der Große und seine Mutter Helena von der Kirche als Heilige kommemoriert worden wären. Eine Ausnahme bildet hier die Kaiserin Theodora II. nebst ihrem damals freilich noch minderjährigen Sohn Michael wegen ihrer Rolle bei der Wiederherstellung der Ikonenverehrung. Theodoras wird nicht nur am 11. Februar in einer Synaxarnotiz gedacht, sondern eben auch am Sonntag der Orthodoxie.

Die vorliegende Arbeit vergleicht hymnographische Aussagen zu Kaiserin Theodora II. und ihrem Sohn Michael in griechischen und slavischen Triodienhandschriften. Dabei fällt auf, dass vor allem slavische Handschriften aus Bulgarien die Kaiser unterschlagen und durch die Synode, die die Ikonenverehrung wiedereingeführt hat, ersetzen. Das passt zwar zu entsprechenden Ersetzungen auch anderer hymnographischer Aussagen z. B. im Ἀκάθιστος Ὕμνος, doch erweist die genauere Untersuchung, dass solch „demokratische“ Lösungen bereits in den griechischen Vorlagen der slavischen Übersetzungen vorhanden waren. Es ist also Vorsicht geboten, denn selbst Ersetzungen, die sich plausibel aus der slavischen Geschichte erklären ließen, können durchaus älter sein, ohne dass das Motiv für die Textveränderung in diesem Falle klar wäre.


32. Von Levaković zu Karaman. Die Überwindung der babylonischen Sprachverwirrung bei den Kroaten

Das Christentum hat von Anfang an ein besonderes Verhältnis zu Sprache, denn am Anfang seines Siegeszuges stand das Pfingstwunder. Dieses Sprachenwunder soll es auch gewesen sein, das Konstantin-Kyrill zur Schaffung der slavischen Liturgiesprache inspirierte, denn die Byzantiner hatten naturgemäß und nach schlechten Erfahrungen mit Nationalliturgien im Orient keinerlei Interesse an einer slavischen Liturgiesprache.

Nicht besser war die Einstellung zur slavischen Liturgie im Westen. Zwar hatte Papst Hadrian II. sie gebilligt, aber bereits Johannes VIII. machte 880 erste Einschränkungen, und Johannes X. sprach 925 ein erstes Verbot aus. Die legendäre Zuschreibung der Erfindung der glagolitischen Schrift an den hl. Hieronymus sicherte dem Glagolitismus auch darüber hinaus Anerkennung in Kroatien und in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts auch in Böhmen und seinen Nachbarländern. Die Reformatoren führten dann zwar das Slavische (Kroatische, Slovenische) in die Kirchen ein, nicht aber die archaische kirchenslavische Sprache. Dennoch nötigte der Gebrauch anderer Sprachen als des Lateinischen für den Gottesdienst auch die Gegenreformatoren zu Zugeständnissen in der Sprachenfrage. In Kroatien verwendeten sie aber nicht das durch die Reformation diskreditierte Čakavische oder Kajkavische, sondern das Štokavische. Um die Sprachform wurde wegen der Forderung nach Authentizität aber länger gerungen: neben der Forderung der Rückkehr zur „lingua illyrica antiqua“, d.h. dem Čakavisch-Kirchenslavischen, stand das Bemühen eine Kompromisssprache auf der Grundlage der Volksdialekte, aber auch die Option der Übernahme der Ergebnisse der ruthenischen Philologie (Smotryc’kyj-Grammatik). Letztere Möglichkeit setzte sich durch, und schon die Missale-Ausgabe Levakovićs von 1631, die von Papst Urban VIII. nicht nur gebilligt, sondern auf sein Geheiß angefertigt wurde, weist eine Sprache auf, die sich dem Kirchenslavischen der ostslavischen Redaktion annähert, weit mehr noch tut dies die Missale-Ausgabe Karamans von 1741. Josip Hamm spricht von einer „russifizierten Redaktion des Kirchenslavischen“ und „potpuno odvajanje crkvenog jezika od općeg kulturnog (i političkog) zbivanja u narodu“.

Die vorliegende Studie zeigt, dass diese Einschätzung relativiert werden muss. Die Ostslavisierung erstreckt sich fast nur auf die Graphie und Orthographie (Differenzierung glagolitischer Zeichen durch Diakritika, um genaue Entsprechungen zur kyrillischen Graphie zu ermöglichen, aber auch um Uneindeutigkeiten der glagolitischen Schrift zu beseitigen). Daneben ist von der Ostslavisierung vor allem die Lexik betroffen, und zwar nicht nur für Fachtermini, sondern auch im Allgemeinwortschatz. Dennoch kommt es zu keiner blinden Übernahme der Ergebnisse der ruthenischen Bibelphilologie, die kirchenslavischen Bibeltexte werden nach der Vulgata korrigiert.

Dennoch ist die Ostslavisierung insgesamt gering und meist für den Rezipienten, da es sich um Änderungen der Orthographie handelt, gar nicht wahrnehmbar. Außerdem lässt sich zeigen, dass sogar Diakritika eingeführt worden sind, die bei Übernahme der ostslavischen Graphie dennoch weiterhin die traditionelle kroatische Realisierung der Grapheme ermöglichen.

Erst 1893 wurde diese „russifizierte“ Sprachform aufgegeben, und der glagolitische Priester und Dragutin Antun Parčić durch das Čakavisch-Kirchenslavische des 16. Jahrhunderts ersetzt. Tatsächlich aber hat Parčić an der Sprachform, was die Lexik anbetrifft, kaum etwas geändert; seine Reform besteht vor allem darin, die ostslavischen Vokalisierungen der reduzierten Vokale zu beseitigen und durch Jer in starker wie in schwacher Position zu ersetzen, wobei ihm auch Fehler unterlaufen. Die von Hamm „novohrvatska redakcija“ genannte Sprachform ist damit sogar archaischer als die des Missales von 1483, es ist ein typisches Schreibtischprodukt des – wie J. Tandarić ihn nennt – „samouk u slavistici“. Derartige Sprachspielereien setzen sich im 20. Jahrhundrt fort, wo V. Tkadlčík 1972 in Olmütz ein Missale herausbringt, das sich sprachlich an den Kiewer Blättern und den Prager Fragmenten orientiert, daneben aber jüngere tschechische Züge berücksichtigt. Das Missale von 1992 ist gar ganz in runder Glagoljica gesetzt und führt Nasalvokalzeichen und Jerlaute etymologisch richtig verteilt wieder ein. Gegenüber dieser sich immer weiter überbietenden Tendenz zur Archaisierung ohne Rücksicht auf den Rezipienten ist das geschmähte, zumindest aber nicht weiter beachtete Missale von 1741 ein Beispiel dafür, wie man in kirchlichen Texten Authentizität und Verständlichkeit miteinander in Einklang bringen kann.

 

33. Muss man als Slavist Esperanto lernen?, oder: Gibt es eine Slavia Esperantica?

Ausgehend von Riccardo Picchios Dichotomie Slavia romana vs. Slavia ortodossa, wobei die Asymmetrie der Benennungen zahlreiche weitere Benennungen (Slavia Latina, Slavia Byzantina, Slavia Judaica, Slavia Islamica) nach sich gezogen hat, wird anhand der griechisch-katholischen Ruthenen, die bulgarischen Paulikianer und der kroatischen Glagoljašen die Schwierigkeit der Zuweisung konkreter Literaturen zu den jeweiligen Kulturräumen illustriert. Picchio selbst lehnte den Terminus Slavia Latina statt Slavia romana ab, weil er das bedeutende deutsche Kulturschaffen Böhmens vergessen lassen könnte. Seine Slavia romana sollte sich also keineswegs auf slavisches (und lateinisches) Schrifttum beschränken; dann aber müsste auch das Literaturschaffen auf Esperanto Berücksichtigung finden. Fraglich ist nur, ob es eine Slavia Esperantica (Slavujo Esperanta) gibt, also einen slavischen Kulturraum, der sich auf Esperanto ausdrückt, oder ob die Esperantoliteratur aus den Slaviae besser als Teil der weltweiten Esperantokultur (Slava Esperantujo) zuverstehen ist.

Esperanto ist mit der Slavia vielfältig verbunden. Nicht nur stammt sein Schöpfer L. L. Zamenhof aus Białystok im heutigen Polen und war seine Heimsprache Russisch, auch die Sprache selbst weist neben nur 29 Wortwurzeln slavischer Herkunft im Grundwortschatz zahlreiche Lehnprägungen nach dem Slavischen auf. Es folgt ein Abriss der Esprantoliteratur mit Nachweis des Anteils der Slaviae (einschließlich Ungarns, das kulturell eng mit der Slavia Latina verbunden ist) daran, der in der ersten Periode (bis 1919) 60% ausmachte, bis heute aber immer noch bei 45% aller Autoren liegt.

Zamenhof hat aber nicht nur eine neutrale Sprache initiiert, Herzensangelegenheit war ihm die Lösung der jüdischen Frage. Die Verquickung von Religion und Nation bei den Juden erkannte er als Ursache des jüdischen Problems und forderte daher die Überwindung des Judaismus durch Rückbesinnung auf die im Judentum etwa bei Ḥillēl vorhandene allgemein menschliche Ethik der Goldenen Regel. Sein theosophisches System stehe allen moralisch denkenden Menschen offen, auch Atheisten. Seine Überlegungen propagierte er seit 1901 unter der Bezeichnung hillelismo, dann homaranismo (‘Allmenschtum’). Durch die Annahme des Esperanto und der neutralen Religion des hillelismo würden die Juden von einem fiktiven zu einem real existierenden neutral-menschlichen Volk, zum Anfang der künftigen vereinigten Menschheit. Zamenhofs Überlegungen stießen zwar bei Katholiken wie bei den überwiegend agnostischen französischen Esperantisten auf Vorbehalte, seine Gedanken finden sich wieder in der sog. interna ideo des Esperanto. In der weiteren Geschichte des Esperanto gerieten Fundamentalisten, die nur das Fundamento de Esperanto gelten lassen wollten und für weltanschauliche Neutralität eintraten, immer wieder in Gegensatz zu Gruppen, die wie Zamenhof selbst in Esperanto mehr als eine Sprache sehen wollten. Dazu gehörte Eŭgeno Lanti und sein sennaciismo (‘Anationalismus’), der zwar seine Wurzel im Anarchismus hat, an die Stelle des Klassenkampfes aber das Ideal der Hebung des Klassenbewusstseins der Proletarier durch Bildung setzte. Auch wenn die Überzeugungen Lantis so wenig wie die Zamenhofs Allgemeingut der Esperantisten wurden, bestimmen doch – wie William Auld 1978 anmerkte – die interna ideo und das Trachten nach der Überwindung der nationalen Beschränkheit das Schaffen der Esperantoschriftsteller, so dass die Esperantoliteratur der Slavia besser als Teil dieser weltweiten Esperantokultur betrachtet werden sollte. Wegen des großen Beitrags von Slaven zur Esperantokultur sind dennoch Slavisten mehr als andere Philologen gefordert, sich neben den slavischen Literaturen und dem Schaffen von Slaven auf Latein auch um das auf Esperanto zu kümmern.

 

36. Wie alt sind die Ein-Jer-Texte? Überlegungen zur Chronologie des Altkirchenslavischen

In ihrem Band Die altkirchenslavische Schriftkultur. Geschichte – Laute – Schriftzeichen – Sprachdenkmäler (mit Textproben, Glossar und Flexionsmustern). (Altkirchenslavische Studien II. Slavistische Beiträge 38). München 1999 haben J. Schaeken und H. Birnbaum die als altkirchenslavisch geltenden Denkmäler vorgestellt und darunter auch solche in Ein-Jer-Orthographie beschrieben, die sie der altkirchenslavischen Spätzeit zuordnen. Mit dem Bekanntwerden des Novgoroder Codex, der um die Wende vom 10. zum 11. Jahrhundert zu datieren ist, gibt es nun ein weiteres Sprachdenkmal in Ein-Jer-Orthographie, das eindeutig nicht der Spätzeit angehört, sondern unter die ältesten Denkmäler des Altkirchenslavischen überhaupt (wenngleich mit russischen Zügen) zu rechnen ist. Der Verdacht, dass Ein-Jer-Texte, soweit sie ausschließlich ъ verwenden, eher früh zu datieren sind, hatte sich der Verfasserin schon 2004 aufgedrängt, weil die Urglagolica nach Ausweis der Abecedarien und der bezeugten Zahlenwerte ihrer Buchstaben unmöglich zwei Jerzeichen enthalten haben kann. Das zweite Jerzeichen (ь), dass später in serbisch-kirchenslavischen Texten zum einzigen wurde, verdankt seine Existenz einer Reform in der glagolitischen Schrift, die vermutlich auf Kliment von Ochrid zurückgeht. Der Novgoroder Codex ist zwar bereits kyrillisch, jedoch gibt es deutliche Hinweise darauf, dass die dort verzeichneten Texte auf glagolitische Vorlagen zurückgehen. 

 

37. Maḥmūd Zamaḫšarī bei den Südslaven? Eine Spurensuche in der Sprachlehre von der Hohen Pforte

1989 edierte Werner Lehfeldt unter der Bezeichnung Sprachlehre eine Handschrift des 15. Jahrhunderts aus Ayasofya Kütüphanesi, İstanbul, die in der Handschrift selbst als Wörterbuch des Arabischen, Persischen, Griechischen und Serbischen bezeichnet wird, wobei auch das Griechische und Serbische in arabischer Schrift dargeboten werden. Tatsächlich handelt es sich eher um eine Art Sprachführer in Dialogform. Das Buch diente wohl hauptsächlich als Einführung von Konvertiten in die Sprache der Qur'ān. Der Originaltext ist der arabische, die übrigen Versionen folgen der Vorlage so eng, dass sie oft syntaktisch deformiert sind, damit aber die arabischen Konstruktionen besser durchschaubar machen.

In einem Dialog erwähnen die Schüler das Choresmische, dass zu sprechen der Lehrer ihnen untersagt hat. Dieser Hinweis lenkt die Aufmerksamkeit auf den bedeutenden persischen Qur'ān-Exegeten und Theologen und einen der größten Gelehrten seiner Zeit, Maḥmūd Zamaḫšarī (1075–1144), aus dessen Feder auch ein Muqaddimatu'l-adab überschriebenes Wörterbuch mit choresmischen Glossen stammt. Auf der Grundlage dieses Werkes entstanden weitere mehrsprachige Wörterbücher mit Übersetzungen außer ins Persische auch ins Türkische und Mongolische. So hat sich in Mostar (Hercegovina) im Franziskanerkloster eine 1468 datierte arabisch-persische Version erhalten, die interlinear osmanische Glossen ergänzt.

Lehfeldt hatte für die serbische Version als Informanten einen Sprecher der Kosovo-Resava-Mundart bestimmt (eine andere, nicht edierte Handschrift gehört hingegen sprachlich eher nach Bosnien), doch zeigt sich nun, dass Dialektmerkmale eher in den makedonischen Raum weisen. Dazu passt außerdem, dass der Iblīs des arabischen Textes in der slavischen Übersetzung zu einem bogomilischen Satanael geworden ist. Gerade in Nordmakedonien haben sich in der Toponymie zahlreiche Spuren des Bogomilismus erhalten.

 

39. Urkirchenslavisch. Auf der Suche nach einer verschütteten Sprache

Als Urkirchenslavisch bezeichnen wir im Anschluss an Trubeckoj jene hypothetische Sprachform des Kirchenslavischen, die von Konstantin-Kyrill und seinen Mitarbeitern kodifiziert worden ist. Kenntnisse über diese nicht erhaltene Sprachform lassen sich vor allem aus dem System der Glagolica gewinnen. Unterschiede zum klassischen Altkirchenslavischen, die sich aus der Analyse ergeben, lassen es erforderlich erscheinen, abweichend von der bisherigen Mehrheitsmeinung die Kodifizierung des Kirchenslavischen auf der Grundlage der Rhodopemundarten jener Flüchtlinge anzunehmen, die vor allem im 8. Jahrhundert in Bithynien angesiedelt worden waren. Die Verschriftlichung des Kirchenslavischen gehört offensichtlich in die Jahre der Muße, die Konstantin-Kyrill zwischen 856 und 860 am Bithynischen Olymp verbrachte, was sich im Übrigen mit der Datierung des Chrabr-Traktats deckt. Die vermutete Dialektgrundlage erklärt auch die frühen Belege für die Ein-Jer-Orthographie, während die bisher als klassisch geltende Unterscheidung zweier Jervokale Ergebnis einer Reform ist, die mit Makedonien oder vielleicht sogar eher Nordostbulgarien erfolgte. Darüber hinaus darf vielleicht damit gerechnet werden, dass aus dem Altkirchenslavischen bekannte archaische Züge, neben die sehr früh Innovationen (wie z.B. das aus dem Perfekt gebildete einfache Präteritum) treten, von Konstantin-Kyrill bewusst in der Schriftsprache berücksichtigt worden sind in dem Bemühen, ein für die heiligen Inhalte geeignetes, der Alltagssprache enthobenes Idiom zu schaffen, wie es ja auch für das zeitgenössische Griechische oder Armenische galt.