Nicolina Trunte
азъ бѹкъɪ вѣдѣ
HauptseiteCurriculum vitaeEsperantistische TätigkeitLehrtätigkeit an der UniversitätWissenschaftliche PublikationenInhaltsangaben zu PublikationenMein historischer RomanFontprobleme der SlavistenMeine ReisenKontaktieren Sie mich


Inhaltsangaben zu Publikationen

Monographien
 
 
1. Praktiku kun ni Esperanton
Das im Selbstverlag herausgegebene einsprachige Lehrbuch des Esperanto entstand in Gemeinschaftsarbeit der Gründungsmitglieder des Esperantista Grupo Universitata de Bonn, wobei Klaus-Peter Fritz und Heike Lühmann-Fritz als Studenten im Lehramtsstudiengang schwerpunktmäßig für die Übungen verantwortlich waren und die Dialogtexte und der römisch paginierte Anhang mit einer systematischen Grammatik von Hartmut Trunte stammen. Das Lehrbuch wurde mit Erfolg seit 1976 und bis Anfang der 1980er Jahre in den Kursen an der Universität Bonn eingesetzt.   

4.
Perlo Mnohocěnnoje, Editionsband
Das 1646 in Černihiv erschienene Перло многоцѣнное ist das Alterswerk des Kyrylo Trankvilion Stavrovec’kyj, des griechisch-katholischen Abtes des städtischen Jelec’kyj-Klosters (2. Auflage 1699 in Mahiľoŭ). Im erstenTeil enthält es nach zwei Predigten (über die Gottesgaben und die Heilige Trinität) Lobgesänge auf göttliche und verehrungswürdige Personen, Lobgesänge zu Feiertagen des Kirchenjahres, Versdichtungen zu Christi Passion, Heilmittel in Versen und in Prosa sowie Predigten über die Letzten Vier Dinge. Vorangestellt ist dem Buch ein Wappengedicht auf die Adelsfamilie Korec’kyj, eine Vorrede an Samuel Fürst Korec’kyj und eine Vorrede an den Leser mit abschließendem Epigramm.
Die Edition gibt die Ausgabe von 1646 wieder und verzeichnet im textkritischen Apparat die Abweichungen der 2. Auflage. Bibelstellen werden am Rand nachgewiesen, im Apparat auch einige weitere Quellen.

5.
Perlo Mnohocěnnoje, Kommentarband
Der Kommentarband zum Перло многоцѣнное stellt in leicht überarbeiteter und ergänzter Fassung die Dissertation des Autors dar, die im Wintersemester 1979/80 von der Philosophischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn als Dissertation angenommen wurde. Die Arbeit ist in sieben Teile gegliedert.
Teil I beschreibt die Bedeutung des Перло многоцѣнное, das zu den am meisten und längsten gelesenen Werken der älteren ostslavischen Literatur gehört und das auch außerhalb der Rzeczpospolita im ungarischen Transkarpatien und bis in den hohen Norden bei den Altgläubigen in Karelien seine Leser fand, und zwar außer unter Unierten, für die es geschrieben war, auch unter Altgläubigen und Orthodoxen. Über den Autor hingegen ist kaum etwas bekannt.
Teil II bemüht sich um die Erhellung des Lebensweges des Kyrylo Trankvilion Stavrovec’kyj, der sich selbst Cyrillus Tranquillus unterschrieb. Es ist wahrscheinlich zu machen, dass er zwischen 1565 und 1570 in Stawrów am Styr in der Nähe von Łuck geboren wurde. Wo er seine Schulbildung erhalten hat, ist unbekannt, vielleicht in Lublin, Zamość oder Połock. 1588 kam er als Lehrer für Griechisch nach Lemberg, musste aber 1592, verwickelt in kirchenpolitische Zwiste, nach Wilna ausweichen, wo er bis 1596 blieb. Danach lebt er, offenbar schon als Mönch, in Minsk, danach im Kiewer Höhlenkloster. Anfang des 17. Jahrhunderts taucht er im Raum Lemberg wieder auf und hat hier, wohl vor 1615, die Priesterweihe empfangen. Er wirkt als Chronist der Rohatyner Bruderschaft und hilft beim Buchdruck in Lemberg, bis 1618 ist er Abt des Klosters Uniów. In dieser Zeit steht er in Kontakt zu Verteidigern und Erneuerern der Orthodoxie wie Iov Želizo und Iov Knjahynyc’kyj und veröffentlicht das Зерцало Богословіи (Poczajów 1618). Polemisch setzt er sich vor allem mit den Antitrinitariern auseinander; in ihnen sieht er neben den Türken die schlimmsten Feinde der Christenheit. Wohl unter dem Einfluss der von ihm besuchten jesuitischen Lehranstalten und in Ermangelung einer orthodoxen theologischen Ausbildung unterlaufen Cyrillus Tranquillus dogmatische Fehler, die ihm Iov Knjahynyc’kyj vorwirft. Diese negative Rezension durch den allseits verehrten Athoniten verhindert auch eine positive Aufnahme seines zweiten Buches, des Евангеліе учителное (Rachmanów 1619). Durch seine Bekanntschaft mit Tomasz Zamoyski kommt Cyrillus im Herbst 1621 als Prediger nach Zamość und pflegt hier Umgang mit Männern, die alle uniert oder römisch-katholisch sind. Im März 1626 konvertiert Cyrillus überraschend zur griechisch-katholischen Kirche, ausgelöst vielleicht durch den Bericht Meletij Smotryc’kyjs über den trostlosen Zustand der Orthodoxie im Orient. Nach seiner Konversion erhält er die Archimandritenwürde für das verfallene Jelec’kyj-Kloster in Czerniehów, ist dort aber erst ab 1635 nachweisbar. Bis 1643, als er einen Koadjutor erhält, bleibt er einzige Unierte in Czerniehów.
Teil III des Kommentarbandes beschreibt das Werk Perlo Mnohocěnnoje, seinen Aufbau, Buchschmuck, Graphie, Orthographie und Sprache.
Teil IV geht auf das eigentümliche Versifikationssystem ein, das innerhalb der ostslavischen Kunstdichtung völlig isoliert steht. Sonst gilt bei den Ruthenen mit Anfängen ab 1514 das aus dem Polnischen übernommene syllabische Versifikationssystem. Versuche, das hier verwendete System aus der Volksdichtung abzuleiten, müssen als gescheitert gelten. Als Quelle ist vielmehr die traditionelle kirchliche Hymnographie zu betrachten. Anschließend wird auch das Verhältnis der dramatisierten Versdichtungen Stavrovec’kyjs zu zeitgenössischen Schuldramen und das seiner Predigten zur jesuitischen Homiletik untersucht.
Teil V ist Stavrovec’kyjs Theologie gewidmet, besonders der Entwicklung seiner eigentümlichen Pneumatologie und seiner Auseinandersetzung mit der antitrinitarischen Christologie. Auffällig ist auch seine Angelologie mit der Lehre von ursprünglich zehn englischen Ordnungen, andererseits das vollständige Fehlen einer Fegfeuerlehre.
Teil VI behandelt die Anthropologie und das eschatologische Zeitgefühl, um von dort zum Geschichtsverständnis überzuleiten. In drei Kapiteln wird die mythische Geschichte Litauens (Palemonsage), die Genealogie der litauischen Fürsten und die der Familie Korec’kyj behandelt.
Am Ende des Buches stehen Ergänzungen, die sich daraus ergaben, dass nach Fertigstellung des Manuskripts eine Monographie S. I. Maslovs (1880-1957) unter dem Titel Кирилл Транквиллион-Ставровецкий и его литератрная деятельность, die dieser 1904 bis 1907 geschrieben, vor der Drucklegung dann aber zurückgezogen hatte, um sie weiter zu überarbeiten, 1984 in Kiew doch noch erschienen ist. 1927 hatte V. N. Peretc das Ausbleiben der angekündigten Arbeit mit unerbittlicher Selbstkritik und Perfektionismus des Autors erklärt. Die Kiewer Ausgabe von 1984 gibt den Arbeitsstand von 1914 wieder.

10.
Gottesdienstmenäum für den Monat Dezember
Menäen sind die liturgischen Monatsbücher der Orthodoxen Kirche, die – geordnet nach dem Kalenderjahr (September bis August) – das gesamte hymnische Material für den unbeweglichen (also nicht vom Ostertermin abhängigen) Festtagszyklus enthalten. Manche (spätere) Handschriften geben auch die Tageslesungen aus Apostolos und Evangelion an. Die Menäen enthalten neben den Triodien für den von Ostern abhängigen Festtagszyklus somit (fast ausschließlich in Übersetzungen aus dem Griechischen) die früheste slavische Versdichtung, die in den Nachdichtungen oftmals beachtliches Niveau erreicht.
1886 hatte V. Jagić (in Russland I. V. Jagič) in St. Petersburg die slavischen Gottesdienstmenäen für die Monate September bis November nach den ältesten russischen Handschriften aus den Jahren 1095 bis 1097 herausgegeben. Zu einer Fortsetzung dieser Arbeit war es leider nicht mehr gekommen.
1988 fassten H. Rothe (Bonn) und E. M. Vereščagin (Moskau) auf dem Internationalen Slavistenkongress in Sofia den Plan, diese Ausgabe fortzusetzen.
Die Edition (ab dem dritten Dezemberband ohne meine Beteiligung) unterscheidet sich von der Jagić’schen im Aufbau und in den Editionsprinzipien. Vor allem sind nach Möglichkeit alle slavischen Texte von griechischen Entsprechungen (nach Druckausgaben oder, bei deren Fehlen, nach Handschriften) sowie von kommentierten deutschen Übrsetzungen begleitet. Neu ist auch die Aufnahme des slavischen und griechischen Textes unter Berücksichtigung der musikalischen Struktur. Schließlich unterscheidet sich die neue Edition auch dadurch, dass die ältesten russischen Handschriften für den Monat Dezember erst aus dem 12. und 13. Jahrhundert stammen.
Nach Abschluss der drei Dezemberbände (Band IV wird in Moskau vorbereitet) setzte die Bonner Gruppe mit wechselnden Bearbeitern die Edition m it den dem Bänden für Januar und Februar fort.

11. Lehrbuch des Kirchenslavischen, Band I: Altkirchenslavisch
Im Gegensatz zu allen früher im deutschen Sprachraum verwendeten Unterrichtsmaterialien zum Kirchenslavischen handelt es sich hier um ein echtes Lehrbuch, in dem der grammatische Stoff in Lektionen untergliedert dargeboten wird. Neu ist auch, daß die historische Lautlehre, die infolge des früher allein üblichen indogermanistischen Zugangs bisher im Mittelpunkt stand, jetzt ans Ende verbannt ist. Das ist vor allem damit zu rechtfertigen, dass die wenigsten Studenten Kenntnisse in anderen alten indogermanischen Sprachen mitbringen. Die Verteilung des grammatischen Stoffs auf die Lektionen hing im Wesentlichen vom Vorkommen der betreffenden Erscheinung in den Lesestücken ab. Dadurch werden Aorist und Partizipien sehr früh behandelt, das Präsens erst später.
Die Lesestücke der Lektionen 2 bis 13 entstammen ausnahmslos der Vita des heiligen Konstantinos-Kyrillos. Bei diesem auch kulturhistorisch interessanten Text verbot es sich wegen seiner späten Überlieferung von selbst, ihn im Original darzubieten, vielmehr wurden die Rekonstruktionen von František Pastrnek (Dějiny slovanských apoštolů Cyrilla a Methoda. S rozborem a otiskem hlavních pramenů. V Praze 1902) und Tadeusz Lehr-Spławiński (Żywoty Konstantyna i Metodego (obszerne). Przekład polski ze wstępem i objaśnieniami oraz z dodatkiem zrekonstruowanych tekstów staro-cerkiewno-słowiańskich.Poznań 1959), zugrunde gelegt, in Einzelfällen auch stärker archaisiert.
Nach Vorbemerkungen zur Stellung des Slavischen innerhalb der Indogermania und zur Urheimat führt Lektion 1 in die kyrillische Schrift ein. Die Lektionen 2 bis 6 enthalten an grammatischem Stoff die Nominalflexion, die Lektionen 7 bis 10 die Verbalflexion; daneben wird in den Lektionen 8 bis 12 ein Abriss der Syntax und in den Lektionen 12 und 13 einer zur historischen Lautlehre dargeboten. Jeder Text wird von Vokabellisten und Kommentaren zu noch nicht erklärten sprachlichen Phänomenen sowie zu kulturhistorischen Begriffen begleitet. Jede Lektion enthält außerdem Übungen zur Wiederholung, nach den Lektionen 9 und 13 steht jeweils ein Test. Die abschließenden Lektionen 14 und 15 stellen das Altkirchenslavische so dar, wie es tatsächlich überliefert ist, und zwar Lektion 14 anhand von frühen kyrillischen Inschriften, Lektion 15 anhand von glagolitischen Denkmälern. Hier findet sich daher auch eine Einführung in die glagolitische Schrift. Den Abschluss des Bandes bilden ein Glossar Kirchenslavisch-Deutsch sowie Sachweiser zur Grammatik und zur Kulturgeschichte.
Für die 2. Auflage wurden lediglich Druckfehler beseitigt und kleine Unstimmigkeiten korrigiert. Für die 3. Auflage, die um 5 Seiten umfangreicher geworden ist, wurde die Darstellung des Verbs in den Lektionen 7 bis 9 gründlich überarbeitet. Die 4. Auflage, die noch einmal um 9 Seiten im Umfang wuchs, hat vor allem in der Darstellung der Kulturgeschichte Änderungen erfahren, die sich aus der Arbeit an Band II ergaben. Der Nachdruck der 4. Auflage in solch hoher Stückzahl, dass sie lange keine Neuauflage mehr erforderlich machte, hat zwar an der Seitenzahl nichts geändert, enthält aber als verwirrende Neuerung die Änderung des Autorennamens von Hartmut zu Nikolaos H. Trunte und kündigt 35 statt bis dahin 30 Lektionen an, also 20 statt 15 für Band II; aus Umfangserwägungen ist dann aber Band II (s.u. unter Nr. 6) doch mit nur 15 Lektionen erschienen.

13.
Lehrbuch des Kirchenslavischen, Band II: Mittel- und Neukirchenslavisch
Grundthese für Band II ist, dass innerhalb der Slavia Orthodoxa bis in das Zeitalter der Reformation das Kirchenslavische von Anspruch und Verständnis der Zeitgenossen her die einzige slavische Schriftsprache ist; erst 1581 nimmt Valentij Nehalevs’kyj in seiner volkssprachlichen Übertragung der Evangelien nach der polnischen Übersetzung des Antitrinitariers Marcin Czechowic erstmals expressis verbis Abstand von der einen slavischen Schriftsprache.
Demnach wird hier in Analogie zu den anderen Philologien für den Sprachzustand vom Ende des klar definierten Altkirchenslavischen bis zu den Normierungsbemühungen durch Lavrentij Zyzanij und Meletij Smotryc’kyj der Begriff Mittelkirchenslavisch eingeführt. Daraus ergibt sich folgende Chronologie des Kirchenslavischen:
    •  Urkirchenslavisch (9. und 10. Jahrhundert), keine erhaltenen Denkmäler
    • Altkirchenslavisch (Ende des 10. bis höchstens Ende des 12. Jahrhunderts), Inschriften und der klassische Kanon der altkirchenslavischen Texte
    • Mittelkirchenslavisch (13. bis 16. Jahrhundert), Hauptmasse der erhaltenen Texte in lokal differenzierten Redaktionen des Kirchenslavischen
    • Neukirchenslavisch (17. Jahrhundert bis heute), Schaffung der im Wesentlichen bis heute gültigen Norm, spätestens seit dem 19. Jahrhundert Reduzierung des Kirchenslavischen auf den liturgischen Bereich
Das Lehrbuch umfasst weitere 15 Lektionen (gezählt als Lektionen 16 bis 30) und ist in den Lektionen 16 bis 23 geographisch, in den Lektionen 24 bis 30 thematisch gegliedert. In den geographisch gegliederten Lektionen wird jeweils nur eine Redaktion des Kirchenslavischen behandelt, während im thematisch gegliederten Teil Texte verschiedener Provenienz nebeneinander dargeboten werden.
Die Lektionen 16 bis 18 behandeln die Slavia Romana, soweit sie sich des Kirchenslavischen bedient hat: in Böhmen, bei den Alpenslaven, in Kroatien, Dalmatien, Bosnien und Ragusa. Die Lektionen 19 bis 23 behandeln das Kirchenslavische in der Slavia Orthodoxa: in Serbien, Bulgarien, Walachei und Moldau sowie der Rus’. In den thematisch gegliederten Lektionen werden Renaissance und Hesychasmus (Lektion 24), der so genannte Zweite Südslavische Einfluss (Lektion 25), der Rom-Mythos (Lektion 26), der über Polen laufende westliche Einfluss (Lektion 27), die Apologie und Normierung des Kirchenslavischen (Lektion 28), der so genannte Dritte Südslavische Einfluss (Lektion 29) und schließlich der Ausklang der kirchenslavischen Literatur (Lektion 30) behandelt.
Gattungsmäßig sind außer kirchlichen (Liturgie, Hagiographie, Hymnographie, Homiletik) auch stärker weltliche Texte (Fürstenspiegelliteratur, Chronistik, Wissenschaftsprosa, Urkunden und Briefe, antike Romane, weltliche Versdichtung und Drama) berücksichtigt worden.
Das Lehrbuch wird mit einem separat gebundenen Glossar Kirchenslavisch–Deutsch, das das gesamte Vokabular aller Lesestücke aus Band I und Band II enthält, ausgeliefert. Auch die Sachweiser zu Grammatik und Sprachgeschichte sowie zur Kulturgeschichte beziehen sich auf beide Bände.

15.
Lehrbuch des Kirchenslavischen, Band I: Altkirchenslavisch (völlige Neubearbeitung)
Das seit mehr als zehn Jahren im akademischen Unterricht an den meisten deutschsprachigen Universitätenund darüber hinaus bewährte Praktische Lehrbuch des Kirchenslavischen unterscheidet sich in der 5., völlig neu bearbeiteteten Auflage nicht nur graphisch von den Vorgängern. Entsprechend dem 2. Band zum Mittel- und Neukirchenslavischen fand die Kulturgeschichte stärkere Berücksichtigung, dabei auch die Kontroverse um die Lage Moravias. Die indogermanistischen Kapitel wurden dem neuen Forschungsstand angepasst. Die Einleitung geht auf die Geschichte der Paläoslavistik ein, und in Lektion 2 wird ein ausführlicher Überblick über das Corpus der altkirchenslavischen Denkmäler einschließlich der Neufunde der 70er und 80er Jahres des 20. Jahrhunderts gegeben. Die beiden letzten Lektionen, die nichtnormalisierte Texte zu Grunde legen, sind – teilweise mit Abbildungen – um Beispiele aus dem Vatikanischen Palimpsest, dem Codex Suprasliensis, dem sinaitischen Fastentriodion, dem neu gefundenen Teil des Euchologion sinaiticum und dem Menaion sinaiticum erweitert worden und vermitteln so einen besseren Eindruck vom tatsächlichen Aussehen des Altkirchenslavischen. Sachweiser (zur Grammatik und zur Kulturgeschichte) sowie ein Glossar (2160 Lemmata) ergänzen das Lehrbuch.

16.
Triodion und Pentekostarion nach slavischen Handschriften des 11.–14. Jahrhunderts
Triodion und Pentekostarion sind orthodoxe Kirchenbücher, die zusammen die Gesänge für den vom Ostertermin abhängigen beweglichen Zyklus des Kirchenjahres enthalten. Benannt werden die Triodien nach den Triodia, charakteristischen, nur aus drei statt wie sonst acht (oder neun) Oden bestehenden Kanones für die Wochentage des beweglichen Zyklus vom Sonntag des Zöllners und des Pharisäers bis zum Sonntag aller Heiligen eine Woche nach Pfingsten. Insgesamt handelt es sich um 116 Gottesdienste. Die Edition dieses Hymnenschatzes nach den ältesten süd- und ostslavischen Handschriften des 11. bis 14. Jahrhunderts ist auf zunächst sechs Bände ähnlichen Umfangs angelegt. Der jetzt vorgelegte erste Band umfasst außer der umfangreichen Einleitung von M. A. Momina (darin eingeschlossen eine paläographische Beschreibung der Grundhandschrift durch ihre verstorbene Schülerin M. G. Gal’čenko und ein bibliographischer Nachtrag durch Chr. Hannick) mit einer Klassifikation der Triodionhandschriften die historisch-kritische Edition von sechs Gottesdiensten der Vorfastenzeit, nämlich des Sonntags des Zöllners und des Pharisäers, des Sonntags des Verlorenen Sohnes, des Samstags und des Sonntags der Entsagung von den Fleischspeisen sowie des Samstags und Sonntags der Entsagung von den Milchspeisen.
Die Edition ist jahrzehntelang von M. A. Momina vorbereitet worden, die dazu mehrere hundert slavische und griechische Handschriften eingesehen hat. Seit 1989 liefen Bemühungen um eine Publikation in Deutschland. Der Mitherausgeber N. Trunte war seit 1994 an den Arbeiten beteiligt, und zwar außer an der typographischen Gestaltung der von Frau übersandten Typo- und Manuskripte auch an der Konstituierung des slavischen und griechischen Textes. Die Übersetzung der Hymnen aus dem Kirchenslavischen und Griechischen ins Deutsche und den Apparat zur Übersetzung hat er allein zu verantworten, ebenso die Übersetzung der Einführung aus dem Russischen ins Deutsche.

18.
Minima Graeca
Die kirchenslavische Schrift- und Literatursprache entstand und lebte, solange sie ein vitales Kommunikationsmittel war, unter dem Einfluss des Griechischem. Dem Griechischen entlehnte sie nicht nur das Gros ihrer Literatur, sondern auch syntaktische Strukturen und zahlreiche Lexeme. Bedingt durch die historische Entwicklung blieb die griechische Literatur – regional unterschiedlich – mindestens bis ins 16., teilweise bis ins 19. Jahrhundert die prägende. Unter diesen Umständen ist die Beschäftigung mit der älteren slavischen Literatur ohne Kenntnis des Griechischen ein Ding der Unmöglichkeit. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts steht dieses objektive Erfordernis jedoch im krassen Gegensatz zur universitären Wirklichkeit. Von den klassischen Sprachen hat allein das Lateinische (mit Abstrichen) seinen Rang als europäische Bildungssprache behaupten können, über Kenntnisse des Griechischen verfügt hingegen so gut wie kein Studierender mehr.
An eine Besserung der Lage ist unter dem Vorzeichen des gegenwärtig zügig vorangetriebenen Bildungsabbaus zugunsten der Vermittlung von lediglich wirtschaftsrelevantem know-how nicht zu denken. Unter diesen Rahmenbedingungen und dem Druck, der finanziell und durch häufiger werdende Prüfungen in völlig verschulten Studiengängen ausgeübt wird, ist denjenigen, die sich trotz aller Widrigkeiten noch umfassend zu bilden trachten, kaum mehr zuzumuten, mehrsemestrige Griechischkurse bei Altphilologen und Theologen zu besuchen. Zudem liegt das Schwergewicht bei den Altphilologen bei Autoren des 6. bis 4. Jahrhunderts v. Chr., bei den Theologen fast ausschließlich bei der Sprache des Neuen Testaments, Slavisten sollten aber in der Lage sein, sich vor allem in der vom Phänomen der Diglossie geprägten byzantinischen Zeit zurechtzufinden, darüber hinaus bis in die Gegenwart. Das erforderte freilich Kenntnisse von Homer über das Attische, die Koiné und den Attizismus bis hin zum Neugriechischen. Dass solches neben einem regulären Slavistikstudium nicht geleistet werden kann, versteht sich von selbst.
Das vorliegende Lehrbuch soll daher einem weit bescheideneren Anspruch dienen: Hilfsmittel zu sein, das den lernenden Slavisten in die Lage versetzt, griechische Vorlagen zu slavischen Texten mit Verständnis zu benutzen. Die Lesestücke beschränken sich deshalb außer in den Lektionen 1 und 15 auf solche Texte, die auch in kirchenslavischer Version bekannt (Septuaginta, Neues Testament, Apokryphen, Weltgeschichten, byzantinische Sachprosa und Hymnographie) oder zumindest von Relevanz für die slavische Welt sind (protobulgarische Inschriften, ein Auszug aus dem Poem Σκενδέρμπεης des Ochriders Grigor Părličev). Der Aufbau der Lektionen folgt dem Muster, das sich für das Kirchenslavischlehrbuch bewährt hat. Die Darstellung gliedert sich nach den Erfordernissen der zugrundegelegten Texte (daher frühe Einführung von Aorist und Partizipien), die Texte bleiben in ihrem kulturhistorischen Zusammenhang, der skizzenhaft mitgeteilt wird. Vokabeln sind den Texten beigegeben; grammatisch noch nicht Erklärtes und Seltenes werden im Kommentar besprochen. Kurze Anmerkungen zur Relevanz der behandelten Texte und Nachweis der slavischen Entsprechungen finden sich, wo nötig, am Ende jeder Lektion. Ein Glossar hilft bei unvermeidlichen Gedächtnislücken aus, kann aber natürlich ein Wörterbuch nicht ersetzen. Da dieses knappe Lehrbuch vermutlich nicht oft für den akademischen Unterricht genutzt werden wird (der freilich vom Gesamtumfang her möglich ist und erprobt wurde), sondern Selbstlernern zur Verfügung steht, ist ein Schlüssel mit den Übersetzungen aller Texte beigegeben.
Trotz der Ausrichtung an den Bedürfnissen von Slavisten ist dieses Lehrbuch auch für Historiker, Byzantinisten, Theologen und orthodoxe Gläubige, die sich im kirchlichen Erbe besser zurechtfinden wollen, hilfreich.

20.
Triodion und Pentekostarion nach slavischen Handschriften des 11. bis 14. Jahrhunderts. Teil II: 1. bis 4. Fastenwoche
Der vorliegende Band umfasst weitere 7 Gottesdienste aus dem vom Ostertermin abhängigen Zyklus des Kirchenjahrs, nämlich die Hymnen für den Samstag der ersten Fastenwoche, der dem Gedenken des Märtyrers Theodoros Tiron gewidmet ist, des Sonntags der 1. Fastenwoche mit dem Gedenken der Propheten Moses und Aron, der Sonntage der 2. und 3. Fastenwoche, des Mittwochs der 4. Fastenwoche (Mittfasten) und des Sonntags der 4. Fastenwoche. Den Abschluss bilden Corrigenda und Addenda zu Band I.

21. Slavia Latina. Eine Einführung in die Geschichte der slavischen Sprachen und Kulturen Ostmitteleuropas 
Der slavische Raum lässt sich auf verschiedene Weise untergliedern. Neben die genealogische Gliederung in West-, Ost- und Südslavisch, wie sie sich seit Vatroslav Jagić (1838–1923) durchgesetzt hat, ist seit 1958 die von Riccardo Picchio (1923–2011) angeregte Untergliederung in die beiden Kulturräume Slavia Latina (bei ihm noch Slavia romana) und Slavia Orthodoxa getreten. Das vorlegende Lehrbuch betrachtet den Raum der Slavia Latina unter sprachhistorischen wie kulturellen Aspekten von der Christianisierung bis zur Gegenwart. Picchio hatte Wert darauf gelegt, dass nicht nur das slavische Schrifttum des Raumes Berücksichtigung finden dürfe. Außer an  das lateinische dachte er explizit auch an das bedeutende Kulturschaffen von Deutschen in Böhmen. In der vorliegenden Arbeit findet zudem auch das Literaturschaffen der Slavia Latina in der neuen internationalen Sprache Esperanto Berücksichtigung. Anders als bei den Kirchenslavischlehrbüchern verbot es sich angesichts der Fülle der zu behandelnden Sprachen, das Buch in Lektionen mit Vokabelangaben zu gliedern. Vorausgesetzt werden elementare Latein- und Kirchenslavischkenntnisse sowie Vertrautheit mit wenigstens einer modernen Slavine des Raumes der Slavia Latina (in der Regel Polnisch, Tschechisch oder Kroatisch). Texte die mit diesen Vorkenntnissen nicht verstanden werden könnten, werden durch Kommentierung und ggf. deutsche Übersetzung erschlossen. Die selbständige Verwendung von Wörterbüchern wird außer für Latein, Kirchenslavisch, Polnisch, Tschechisch und Kroatisch auch für Slovenisch, Slovakisch und die sorbischen Sprachen erwartet. Der umfangreiche Einleitungsteil (LXVIII S.) enthält Tabellen zu den lateinischschriftigen Orthographien, Schrifttafeln (Glagolitisch, Kyrillisch und Lateinisch mit gebrochenen Schriften) sowie einen Abriss des Gemeinslavischen als Grundlage für den Sprachvergleich, der ersatzweise bei fehlenden Kirchenslavischkenntnissen Verwendung finden kann.   
Das Werk gliedert sich in vier Teile mit insgesamt 16 Kapiteln. Der Einleitungsteil (Kapitel 1 bis 4) behandelt den slavischen Raum insgesamt von den vorhistorischen Kulturen bis zum Beginn der schriftlichen Überlieferung und bespricht Gliederungsmodelle (Kap. 1); anschließend verfolgt Kap. 2 die Christianisierung des Raumes mit besonderer Berücksichtigung der kyrillomethodianischen Mission. Kap. 3 hat das Kirchenslavische nach dem Ende der kyrillomethodianischen Zeit bis zur Gegenwart zum Thema, Kap. 4 betrachtet die Anfänge lateinischen Schrifttums bei den Slaven.
Teil II ist der Slavia Latina im Mittelalter gewidmet und betrachtet nacheinander das Čakavisch-Altkroatische (Kap. 5), das Alttschechische (Kap. 6) und das Altpolnische (Kap. 7), abschließend in Kap. 8 die spärliche Reste, die sich vom Polabischen, Sorbischen, Slovenischen und Slovakischen aus dem Mittelalter erhalten haben.
Teil III und Teil IV untergliedern sich nicht mehr nach Sprachen, sondern nach Kulturepochen, Teil III die Zeit vom Humanismus bis Barock, Teil IV von der Aufklärung bis zur Gegenwart. Kap. 9 stellt das Kroatisch-Štokavische der Renaissance vor, es folgen der slavische Anteil an der ungarischen Renaissanceliteratur und der Humanismus nördlich der Alpen bei Polen und Tschechen. Kap. 10 ist dem Zeitalter der Konfessionsbildung gewidmet und betrachtet sprachlich die mitteltschechischen Innovationen, literarisch reformatorisches Schrifttum bei Tschechen, Slovaken und Polen sowie das Polnische im ostslavischen Munde. Kap. 11. wendet sich der lutherischen Reformation und ihren Auswirkungen in der Slavia Latina zu, die bei Sorben, Kaschuben, Slovenen, Kajkavern und Siebenbürger Bulgaren verfolgt werden. Kap. 12 schließlich hat die Gegenreformation und das Barockzeitalter zum Thema mit dem Siegeszug des Štokavischen im Balkanraum, Jesuitenbarock in Böhmen und der polnischen Literatur des Barockzeitalters. Kap. 13 das Zeitalter der Aufklärung mit seinen sprachlichen Auswirkungen bei Polen, Tschechen, Slovenen, Slovaken und Sorben. Kap. 14 ist der Slavischen Wiedergeburt gewidmet sowie den Bemühungen um die Kodifizierung des Tschechischen, Slovakischen, Sorbischen, Kroatischen und Slovenischen. Das kurze Kap. 15 fasst knapp Entwicklungstendenzen im 20. Jahrhundert zusammen, hier wird auch das Kaschubische noch eingehender betrachtet. Das abschließende Kap. 16 behandelt die Entstehung der neuen „europäischen Vatersprache“ Esperanto, gibt einen Abriss des sprachlichen Systems sowie der Sprach- und Literaturgeschichte des Esperanto. Zwei längere Texte des 20. Jahrhunderts aus der Slavia Latina illustrieren den heutigen Sprachgebrauch.
Abgeschlossen wird das Werk durch ein Personen- und ein Orts- und Völkernamenregister mit zahlreichen Verweisen von den verschiedensten Namensformen.

24. Reiseführer durch das Jenseits. Die Apokalypse des Paulus in der Slavia Orthodoxa

Die Apokalypse des Paulus gehört zu den erfolgreichsten Literaturwerken aller Zeiten. Im 2. Jahrhundert geschaffen, wurde sie noch bis ins 20. Jahrhundert handschriftlich weiterverbreitet, über 300 Textzeugen sind zwischen Irland und Armenien, Skandinavien und Äthiopien erhalten geblieben, davon fast ein Drittel allein im Raum der Slavia Orthodoxa. Obwohl die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem slavischen Text schon 1858 in Russland ihren Anfang genommen hat, ist die Einordnung der slavischen Tradition in die Gesamtüberlieferung dieses wichtigen Apokryphons, das das Bild der christlichen Welt von Himmel und Hölle entscheidend geprägt hat, bis heute ein Desiderat der Forschung. Die vorliegende Arbeit versucht, hier neue Anstöße zu geben. Das Werk wendet sich außer an Slavisten auch an Theologen, Vertreter der Wissenschaft vom Christlichen Orient, Byzantinisten und Rumänisten, denen der Zugang durch die Beifügung einer deutschen Übersetzung zur Rekonstruktion des ältesten slavischen (mittelbulgarischen) Version erleichtert wird.

Die Apokalypse des Paulus ist in griechischer Sprache möglicherweise noch im dritten Drittel des 2. Jahrhundert auf der Grundlage älterer jüdischer Apokalypsen (vor allem der Apokalypsen des Petrus, des Elias und des Sophonias) sowie hellenistischer Vorstellungen in Ägypten geschaffen worden und wird indirekt von Origenes, direkt dann von Augustinus bezeugt. Sie stellt sich positiv zur asketischen Lebensführung, wendet sich aber deutlich gegen die zur Zeit ihrer Entstehung virulente doketische Christologie. Der griechische Urtext ist vielleicht noch im 3. Jahrhundert ins Koptische übersetzt worden, und möglicherweise aus dem Koptischen noch vor 420 ins Syrische. In das Jahr 420 wird eine jüngere Edition des Textes datiert, die durch eine vorangestellte Auffindungslegende erweitert ist. Demnach soll die Apokalypse in Tarsos in jenem Hause, in dem Paulus gewohnt hat, aufgefunden und dann durch Kaiser Theodosios nach Jerusalem geschickt worden sein. Die Schaffung der zweiten Edition steht vermutlich im Zusammenhang mit den christologischen Streitigkeiten zwischen Alexandrien und Antiochien, die Tarsoslegende bildet dabei einen Affront gegen Alexandrien. Diese zweite Edition wurde noch im 5. Jahrhundert ins Lateinische und vor 590 ebenfalls ins Syrische übersetzt, von dort weiter ins Armenische und wahrscheinlich ins Georgische. In der vorliegenden Arbeit wird wahrscheinlich gemacht, dass auch die ältere Edition ins Lateinische übersetzt worden ist, obwohl diese Version nur durch eine Handschrift des 15. Jahrhunderts aus den Niederlanden bekannt ist. Auch die slavischen Texte beruhen auf der ersten Edition des griechischen Textes. Der griechische Text ist freilich weder nach der ersten noch nach der zweiten Edition erhalten geblieben, es gibt hier lediglich Epitomai der zweiten Edition, für die hier der Verdacht geäußert wird, dass er eine im 13. Jahrhundert entstandene Retroversion aus dem Lateinischen sein könnte (Nähe zur Pariser Handschrift).

Alle erhaltenen slavischen Texte, von denen 23 ediert sind, gehen auf ein und dieselbe Version zurück, die aufgrund sprachlicher Merkmale im 13., spätestens Anfang des 14. Jahrhunderts in Bulgarien geschaffen worden sein muss. Aus Bulgarien ist der Text dann vermutlich über Serbien und die Moldau in die Rus' gelangt. Die ältesten erhaltenen Texte stammen aus dem 15. Jahrhundert und sind mittelbulgarischer, kroatisch-kirchenslavischer, moldauisch-kirchenslavischer und russisch-kirchenslavischer Redaktion, Ende des 16. Jahrhunderts entstand auch ein volkssprachliche rumänische Version, allerdings nur ein Exzerpt, das Teile der Apokalypse des Paulus in einer Bußpredigt verwendet. Auch die meisten slavischen Texte sind nur Exzerpte und finden sich in Bußpredigten oder in Verbindung mit der Aufforderung zum immerwährenden Gebet nach Ioannes Chrysostomos in Zlatoust- und Izmaragd-Sammelbänden. Text in Verbindung mit einer Bußpredigt finden sich zuerst (1486) in der Moldau, solche in Verbindung mit dem immerwährenden Gebet nur in der Rus' ebenfalls seit dem 15. Jahrhundert. Nur 8 Handschriften weisen den vollständigen Text auf, von ihnen sind 4 ediert (2 russische, 1 kroatischer und 1 serbischer aus Makedonien), eine 5., die bei der deutschen Bombardierung Belgrads verbrannt ist, ist nur aus einigen Zitaten bekannt, eine 6. serbische nur aus den Varianten, die Tichonravov bei seiner Edition des ältesten russischen Textes anführt. Im 17. Jahrhundert wurde in Bulgarien im Raum Loveč eine volkssprachliche Version geschaffen, die sich in damaskini findet; noch weiter westlich liegt der Ursprung einer weiteren bulgarischen Bearbeitung, die unter starker Kürzung und mit Umstellungen einen vollständigen bietet, der auf der neubulgarischen Version beruht, aber auch den Einfluss der russischen Texte mit Betonung des immerwährenden Gebets zeigt.

Alle slavischen Texte verdienen Beachtung bei der Rekonstruktion des griechischen Originals, denn selbst noch die jüngste Bearbeitung des 19. Jahrhunderts enthält eine Passage, die sich so nur noch in der koptischen Version findet, und die, da direkter Einfluss ausgeschlossen werden darf, Teil des Urtextes gewesen sein muss.  

  
Aufsätze
 
 
1. Ĉu la litova lingvo influis Esperanton?
Es ist hinlänglich bekannt, dass die Wortwurzeln des Esperanto-Grundwortschatzes vor allem dem Lateinischen, Französischen, Italienischen, Deutschen und Englischen entstammen, zu einem weit geringeren Teil dem Russischen und Polnischen, nur die Konjunktionn kaj ‛und’ dem Altgriechischen (καί)  und wahrscheinlich edzo ‛Ehemann’ (ursprünglich als Suffix -edzin- mit der Bedeutung ‛Frau von’) dem Jiddischen ( רביצן rebbedzin ‛Frau des Rabbiners’). Keine Beachtung hat bisher jedoch das Litauische als Quellsprache gefunden.
Dem Litauischen entstammen offenbar das Suffix -op- zur Buildung von  Kollektivzahlen (dvejopa wie duopa), das Adverb tuj ‛sofort’ (lit. tuoj), der Auslaut -aŭ einiger ursprünglicher Adverbien (z.B. amkoraŭ gegenüber it. ancora und frz. encore, morgaŭ gegenüber dt. morgen, ĉirkaŭ gegenüber lat. circum, malgraŭ gegenüber frz. malgré, vgl. lit. pagaliau ‛schließlich’, paskiau ‛später’), die Möglichkeit, einen Richtungsakkusativ von Adverbien zu bilden (ĉielen ‛in den Himmel’ wie lit. žemyn ‛zur Erde’, antaŭen ‛vorwärts’ wie lit. pirmyn ‛dss.’), die Endung -u des Volitivs (die Infinitivendung -i wird durch -u ersetzt wie im Litauischen die Infinitivendung -ti durch die Konjunktivendung -tų) und der Richtungsakkusativ bei Ortsbezeichnungen (litauischer Illativ eiti miestan ‛in die Stadt gehen’). 

2
. Esperanto – ĉu eŭropa lingvo?
Bekanntlich bezieht Esperanto seinen Wortschatz fast ausschließlich aus europäischen indogermanischen Sprachen, vor allem dem Lateinischen und den romanischen, daneben den germanischen Sprachen, nur zu einem geringen Teil slavischen und dem Griechischen. Ist Esperanto daher aber eine europäische Sprache? Es zeigt sich, dass Esperanto strukturell eine agglutinierende, nicht eine flektierende Sprache ist, wobei sie typologisch zwischen dem Türkischen und dem Japanischen steht, mit denen sie hier beispielhaft verglichen wird.

3. Der Lemberger Panegyrikos Προσφώνημα von 1591
Am 17. Januar 1591 kam der Erzbischof und Metropolit von Kiew, Galizien und ganz Ruthenien, Michail Rahoza, nach Lemberg und wurde dort in der Mariä-Entschlafungskirche vor versammeltem Volke durch die Zöglinge der Lemberger Bruderschaftsschule mit Versen in griechischer und kirchenslavischer Sprache begrüßt. Zwei Wochen später wurden die vorgetragenen Texte unter dem griechischen Titel Προσφώνημα und versehen mit einem die Umstände des Vortrages erläuternden längeren Zueignung, veröffentlicht.
Der Aufsatz gilt den zweisprachigen Teilen des Werkes, die ein Schlaglicht auf das Niveau des Griechischunterrichts an der Lemberger Bruderschaftsschule Ende des 16. Jahrhunderts werfen.
Am auffälligsten ist der griechisch ΠΡOΛΟΓΟΣ betitelte Teil. Im Slavischen liegt hier ein künstlich übersteigertes, schwer verständliches Kirchenslavisch vor, dem das Griechische an Schwierigkeit kaum nachsteht. Ein Vergleich erweist das Slavische als Original, deutlich daran abzulesen, dass der griechische Text neben Vulgarismen eine Reihe von Slavismen und vor allem typische Schülerfehler aufweist. Die griechische Übersetzung verarbeitet außer dem Bibeltext auch Hesiod, Homer und Pindar.
Während diesem Text offensichtlich ein slavisches Original zugrunde liegt, deutet Η ΑΡΧΗ ΤΟΥ ΠΡΟΤΟΥ ΧΟΡΟΥ auf ein griechisches Original. Auch im Versteil ist von einem griechischen Original auszugehen.
Unter Berücksichtigung der Lehrer, die um diese Zeit an der Lemberger Bruderschaftsschule tätig waren, lassen sich die Texte zuordnen: Verfasser des kirchenslavischen Prologs war offenbar Stefan Zyzanij Tustanovs’kyj (1586–1593 Lehrer in Lemberg), Autor der griechischen Verse wohl Arsenios, Bischof von Elasson (1586–1588 Lehrer in Lemberg), während als Übersetzer in die jeweils andere Sprache nur Kyrylo Trankvilion Stavrovec’kyj (1588–1592 Lehrer in Lemberg) in Frage kommt.
 
4. Richtigstellung zu Dzendzelivs’kyjs Fund
1981 stellte J. O. Dzendzelivs’kyj in dem Sammelband Літературна спадщина київської Руси і українська література (hrsg. von O. V. Myšanyč in Kiew) eine Versdichtung vor, die er dem „ukrainischen Sprachwissenschaftler, Dichter und Pädagogen“ des 18. Jahrhunderts, Arsenij Kocak zuschrieb. Tatsächlich stammen die Verse von Kyrylo Trankvilion Stavrovec’kyj. Ursache für die falsche Attribuierung war zweifellos die Einfügung des Namens Arsenij in ein Gebetsformular. Das Original von 1646 zeigt an dieser Stelle denn auch den Namen Kirilij. Der Text der Pochvala ist bei Kocak lediglich ein wenig von Polonismen wie unverständlich gewordenen Kirchenslavismen gereinigt, was aber auch schon für die 2. Auflage von Stavrovec’kyjs Werk 1699 in Mahiľoŭ gilt.
Dzendzelivśkyj gelangt zu seiner Charakterisierung Arsenij Kocaks als „Sprachwissenschaftler, Dichter und Philologe“ wegen der Überlieferung der Pochvala in einem Manuale logicum ex Aristotele etc. concinatum, verschweigt aber, dass er griechisch-katholischer Priester und wahrscheinlich Basilianermönch war. Des Weiteren wird der von J. O. Dzendzelivs’kyj als weltlicher missverstandene Text der Похвала о премудрости троякои в вѣцѣ сем явленной philologisch und theologisch interpretiert.
 
5. Die zehnte englische Ordnung
Die areopagitische Angelologie ist im Westen wie im Osten kirchlich rezipiert worden, mit der Einführung des Cherubimshymnus in die Liturgie ist sie aber für die Orthodoxie in besonderem Maße prägend geworden. Desto mehr überrascht, dass Kyrylo Trankvilion Stavrovec’kyj in seinem Зерцало Богословіи (Poczajöw 1618) von einer zehnten englischen Ordnung spricht, der Lucifer vorgestanden habe.
Diese Meinung findet sich auch in der ostslavischen apokryphen Literatur, so in den Палѣя Толкованія (Handschriftenzeugnisse seit der Mitte  des 14. Jahrhunderts), noch davor in der  Рѣчь философа der Nestorchronik, aber auch in der griechischen Literatur, so in der Vita des Andreas Salos (nach 970). Die Zehnzahl der Engelchöre ist auch die klassische Version der jüdischen Angelologie.
Unmittelbare Quelle für die Lehre von zehn Engelordnungen ist aber eher die angelologische Interpretation von Luk. 15,8–10, wie sie sich in einem Bericht der Wundertaten des Erzstrategen Michael aus der Feder eines sonst unbekannten Pantoleon, des Diakons und Chartophylax der Großen Kirche findet. Pantoleon ist wahrscheinlich identisch mit Leon Diakonos, dem Historiker, der 986 Kaiser Basileios II. als Diakon nach Bulgarien begleitete und wohl nach 992 sein die Jahre 959 bis 976 umfassendes Geschichtswerk schrieb. Es scheint möglich, dass er die von ihm mit „нѣціи глаголють“ eingeführte Meinung von der Existenz einer ursprünglichen Zehnzahl der Engelordnungen in Bulgarien von Bogomilen gehört hat. Bei Letzteren findet sich nämlich nicht nur der Glaube an die Existenz einer einstigen zehnten Ordnung, sondern auch die bei Stavrovec’kyj wiederkehrende Überzeugung, der Mensch sei überhaupt erst erschaffen worden, um die Plätze der gefallenen Engel einzunehmen.
Diese ursprünglich häretische Meinung ist in der Folgezeit so weit orthodoxisiert worden, dass sie kaum mehr auffällig ist.
 
6. Kyj – ein altrussischer Städtegründer?
Die legendäre Gründung Kiews wird in der Nestorchronik drei Brüdern zugeschrieben und der Ortsname vom Personennamen Kyjь abgeleitet. Während die ältere Forschung von einer eponymischen Sage ausging, wird in jüngerer Zeit (vorsichtig bei B. A Rybakov, phantasievoll ausgeschmückt bei Ju. Miroljubov) der Versuch unternommen, Kyj als historische Person zu betrachten.
Angesichts der weiten Verbreitung von Ortsnamen des Typs Kyjevъ im Ost- und Westslavischen mit einigen Belegen auch im westlichen Balkanslavischen würde man eine hohe Frequenz des Personennamens Kyjь annehmen. Tatsächlich gibt es nur vereinzelte Belege für Kyjь als Übernamen.
Versuche, Kyj als historische Gestalt zu betrachten, übersehen zumeist, dass die Gründung einer Stadt durch drei Brüder ein geläufiges Motiv ist, das innerhalb der Nestorchronik sogar noch ein weiteres Mal begegnet, Parallelen aber auch in der nordischen wie der armenischen Historiographie hat. A. Stender-Petersen hat 1934 detailliert nachgewiesen, dass sich in der Altrussischen Chronik mindestens sechs Sagen finden, die aus dem byzantischen Orient durch die warägische Rus’ nach Skandinavien übermittelt worden sind.
Rybakovs Behauptung, die armenische Kovar-Legende sei ein Reflex der slavischen Kyj-Legende, weil die in der armenischen Legende genannten Namen von Orten und Personen keinen Zusammenhang mit Realia Armeniens hätten, kann widerlegt werden; auch ist die Kovar-Legende keineswegs ins 7. Jahrhundert zu datieren, sondern nur ins 10. oder 11. Jahrhundert, so dass sie für die Früherdatierung der Kyj-Legende nicht verwendet werden kann.
Weiter führen die frühen Belege des Ortsnamens Kiew in westlichen, nordischen und arabischen Quellen. Sie deuten (neben *kyje) auf eine Grundform *kyjanъ oder *kyjavъ, also Adjektive der Bedeutung ‘aus dem Stoff bestehend, den das Grundwort nennt’; Kyjevъ wäre danach eine sekundäre Umdeutung aus *Kyjavъ. Der Ortsname erweist sich als Appellativ zur Bezeichnung eines mit Palisadenwänden befestigten Stützpunktes, man vergleiche den böhmischen Ort Kyjov, der 1569 auf Deutsch als zum Gehagk, 1582 als zum Gehau bezeugt ist, typologisch ist auf Ortsnamen wie Tornow, Trnava u. ä. m. zu verweisen (*trъrnavъ gărdъ ‘mit einem Dornenhag bewehrte Burg’). Die nordische Entsprechung von *kyjavъ war garðr, daher Garðaríki neben Kœnugarðar (Plural!) für die Rus’.
Wenn Kiew Appellativ ist: wie lautete dann der Name der Stadt? Konstantinos Porphyrogennetos nennt sie Σαμβατάς. Dieser Name ist bisher nicht befriedigend erklärt, am ehesten knüpft er an den armenischen Personennamen Smbat, vielleicht den Namen des Eigentümers einer Faktorei in Kiew, an.
Zum Abschluss wird die Entstehung der eponymischen Sage und ihre Funktion für die Stützung des russischen Staatsbewusstseins durchleuchtet.
 
7. Страдалецът Сатанаил – главните мотиви в Емилиян-Станевия роман Антихрист
Emilijan Stanev (1907–1979) begann seine literarische Karriere 1927, aber erst 1950, als er die Abteilung Belletristik der Zeitschrift Литературен фронт übernahm, beschloss er, sich ganz der Literatur zu widmen, jetzt vor allem historischen Sujets. Sein Roman Антихрист von 1970 ist der zweite einer geplanten und unvollendeten Trilogie; er spielt in der Zeit des Patriarchen Evtimij am Vorabend der türkischen Eroberung Bulgariens. Obwohl E. Stanev offizielle Anerkennung nicht versagt blieb (posthum würdigte ihn P. Zarev 1989 als bulgarischen Klassiker), klagte er noch 1977, dass niemand zu Антихрист auch nur eine tiefer schürfende Rezension geschrieben habe. Danach freilich sind doch noch einige nennenswerte Arbeiten erschienen, so die von R. Joveva, Č. Dobrev, St. Karolev, E. Dimitrova und vor allem von E. Sugarev. Der vorliegende Aufsatz behandelt Aspekte, die bisher nicht genügend gewürdigt worden sind.
Stanev selbst nannte den Антихрист einen autobiographischen Roman und sagte in einem Interview „Този Теофил съм аз“. Der Roman behandelt (nach Dostojevskij) die Zerrissenheit der menschlichen Seele. Die mystische Vision des Taborlichtes, die ein V. S. Solov’jëv großartig beschrieben hat, ist für den Romanhelden Teofil (= Bogomilъ) traumatisch. Teofil durchlebt das von Häresien zerrissene Bulgarien des 14. Jahrhunderts, begegnet einem aus Geo Milevs Poem Септември entliehenen „roten Popen“, der nichts Anderes ist als ein bulgarischer Mephisto, geht durch Skeptizismus und Nihilismus. Am Ende seines Weges, als Häretiker zum Tode verurteilt und aller leiblichen Schönheit entblößt, weckt der Anblick der Leiden des bulgarischen Volkes sein Mitgefühl, und er gewinnt eine neue, innere Schönheit (ausdrücklich widerspricht Stanev der platonischen καλοκγαθία). Антихрист ist damit ein Entwicklungsroman: ausgehend vom individualistischen Ich durchläuft der Romanheld die Entwicklung zum gemeinschaftlichen Wir, von „Аз, Теофил монах ...“ zu „мене, поругания българин“. Teofil ergriff – so Stanev – das Volk, weil er Gottes und der jenseitigen Welt entsagt hatte. Er hatte keine andere Wahl  („Теофил се хваща о народа, защото се отказа от бога и отрече онзи свят. Той нямаше друг изход“), denn wie könnte der Mensch leben ohne Glauben („как ще живее човек без вяра“).
Dies allein aber, der Glaube des einstigen Nihilisten an das Volk, ist kein befriedigendes Ende. Stanev geht über diese traditionell messianischen Ideen hinaus. Teofil leidet nicht für sein Volk im Glauben an einen letztlich doch menschenliebenden Gott, sondern er leidet wie Satanael, um aufzuerstehen als Bulgare, nicht wie bei Trajanov dank göttlicher Gnade, sondern aus eigener Kraft als Nietzsche’scher Übermensch.
Zwar verfolgt Stanev den Weg seines Helden mit Sympathie, aber er muss doch bekennen, das er nicht zum Glück führe, zur Harmonie des Menschen mit sich selbst. Dazu bedarf es der Demut, des Schweigens des aufbegehrenden Verstandes, der – so Stanev – größten Versuchung für Bulgaren. Daher ist es folgerichtig, wenn Teofil am Ende den türkischen Herrenmenschen erschlägt und damit den Übermenschen in sich selbst, um dann im dritten Teil der Trilogie, von der wir nur die Erzählung Черния монах kennen, Buße zu tun. Denn in diesem dritten Teil sollte nach Stanevs Vorstellung Evtimij über Teofil triumphieren („Аз се надявам, че в последния ми книга ще надделее Евтимий“).
 
8. Doctrina Christiana
Unter dem Jahre 6494 berichtet die Altrussische Chronik von Missionsversuchen muslimischer Wolgabulgaren, lateinischer Christen aus Deutschland, jüdischer Chazaren und schließlich orthodoxer Griechen bei dem noch heidnischen russischen Fürsten Vladimir. Auf dessen Frage „Warum ist denn Gott auf die Erde herabgekommen und hat solches Leiden auf Sich genommen?“ gibt der namenlose Philosoph einen Abriss der Heilsgeschichte von der Schöpfung bis zur Gegenwart. Diese Rede des Philosophen (Рѣчь филдософа, im Weiteren RF) ist, wie D. S. Lichačëv 1947 gezeigt hat, ein ursprünglich selbständiger Text, der nur oberflächlich mit der Gestalt des Fürsten Vladimir verbunden worden ist.
Gattungsmäßig steht die RF in einer Tradition, die letztlich auf Eusebios und die Abgarlegende (Doctrina Addai) zurückführt. Während aber die syrisch überlieferte Doctrina Addai nur das Neue Testament behandelt, was gegenüber Heiden angemessen ist, muss gegenüber zu bekehrenden Juden der Schwerpunkt auf dem Alten Testament liegen. Die Betonung des Alten Testaments (über 75% der Gesamtlänge des Textes) und seine antijüdische Tendenz legen den Verdacht nahe, dass die RF sich ursprünglich an ein anderes Publikum wandte.
Schon A. A. Šachmatov hatte 1908 gesehen, dass die RF bulgarischer Provenienz ist. Durch sprachliche wie paläographische Argumente (Lexik, die laut V. Jagić zur ältesten Schicht des Altkirchenslavischen gehört, Zahlenfehler durch Umschreibung aus dem Glagolitischen) lässt sich die bulgarische These noch erhärten.
Aus inhaltlichen Gründen ergibt sich, dass die RF durch Kürzung aus einem längeren Text entstanden sein muss, der seinerseits eine Kompilation war. Diese kompilierte Quelle, die A. A. Šachmatov 1900 als Altbulgarische Enzyklopädie bezeichnete und sich als im symeonischen Bulgarien vor 920 entstanden dachte, habe außer historischen Quellen auch einen geistlich-moralischen Anhang gehabt, der mit dem Izbornik von 1073 übereinstimme. Später nennt Šachmatov diese Quelle unter dem Einfluss V. M. Istrins den Ausführlichen Chronographen (Хронографъ по великому изложенію) (diesen Titel hatte Istrin in einer Palejenhandschrift gefunden).
Der Ausführliche Chronograph ist aus russischen Chroniken und Palejen erst ab der Zeit König Roboams rekonstruierbar. Da die erste Redaktion der russisch überlieferten Weltchronik (Еллинскій лѣтописецъ) in der Benutzung von Quellen wie Epiphanios von Kypros mit der RF übereinstimmt, lässt sich die RF für die Rekonstruktion der Anfangsteile des Ausführlichen Chronographen, der die Grundlage für alle slavische Historiographie bildet, verwenden.
Ob der Ausführliche Chronograph von einem Slaven aus griechischen Quellen kompiliert worden ist oder ob er eine fertige griechische Kompilation ins Slavische übersetzt hat, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Für die Existenz einer griechischen Kompilation sind jedoch Spuren von ihr in orientalischen Sprachen zu verwerten, so im äthiopisch überlieferten አክሲማሮስ Aksimāros (über das Arabische aus dem Syrischen, armenisch auszugsweise bei Mxit‘ar von Ayriwank‘). Auch der äthiopische Text Anfang des Glaubens (ጥንተ:  ሃይማኖት: Ṭenta hāymānot), für den A. Haffner eine griechische Vorlage vermutet und der bei der Interpretation der slavischen RF hilft, könnte auf eine griechische Kompilation deuten.
 
9. Orbis Apostolorum
Jiří Plachý-Ferus (1586–1655) war ein fruchtbarer Autor, an die 70 Schriften überwiegend in tschechischer, aber auch in lateinischer und angeblich auch in deutscher Sprache sind von ihm bekannt. Die Mappa Katolická, neb Obrácení Národův všeho světa von 1630 ist ein Frühwerk des tschechischen Barocks; der Literaturkritik gilt es einhellig als Plachýs Hauptwerk. Gattungsmäßig handelt es sich um eine Art „Kirchengeschichte als Missionsgeschichte“, wie sie von den Jesuiten im Zeichen von Gegenreformation und überseeischer Mission verbreitet wurde. Den Anfang machte hier Arnoldus Mermannus mit seinem Theatrum conversionis gentium totius orbis, sive chronologia de vocatione omnium populum (Antwerpen 1572).
Zur Veranschaulichung werden die Kapitel über Böhmen, die slavischen Nachbarn und die Mission in Afrika eingehender betrachtet. Es zeigt sich, dass Plachý nicht eigentlich eine Kirchengeschichte liefern wollte, sondern eine Abfolge von Lebensläufen mehr oder weniger christlichen Tugenden genügender weltlicher Herrscher. Historische Daten fehlen völlig, streckenweise ist die Darstellung reduziert auf die Aufzählung von Heiligen. Da Jiří Plachý zugleich Ratgeber Graf Vilém Slavatas bei dessen historischem Werk war, ist der Mangel an historischen Fakten nicht die Folge von Unvermögen, sondern die anders gelagerter Interessen.
Das wird auch deutlich an den verwendeten Quellen, die kaum historiographische, sondern überwiegend hagiographische sind, so die Vies de saints des Karthäusers von Juliers, Zacharie Lipelloo, oder De probatis sanctorum historiis (Köln 1570–1575) des Karthäusers Laurentius Surius, daneben das Martyrologium des Ado von Vienne.
In der Darstellung kommt Wundern die größte Bedeutung zu, und zwar weniger wundersamen Heilungen als offensichtlichen Durchbrechungen der Naturgesetze (Regenwunder, Wandeln auf dem Meere, auseinandertretende Flüsse, nicht brennende Bücher, Transport über große Entfernungen durch Engel). Anliegen Plachýs ist es offensichtlich, die durch die humanistische Rationalität kühl gewordene Welt wieder zu verzaubern und die abgefallenen Protestanten zurückzugewinnen.
 
10. Alexander bei den Bogomilen
Der Alexanderroman des Ps.-Kallisthenes hat die Slaven zweimal erreicht: als so genannter „bulgarischer“ nach der Rezension β des Ps.-Kallisthenes, nachweisbar als Teil des russischen Chronographen zwischen dem 12. und 15. Jahrhundert, und als so genannter „serbischer“, bezeugt seit 1389. Die eigentliche Erforschung des „serbischen“ Alexanderromans begann 1886 mit der umfangreichen Monographie A. N. Veselovskijs.
Erste Aufgabe der Forschung war die Bestimmung des Verhältnisses des „serbischen“ zum mittelgriechischen Alexanderroman. Die endgültige Lösung fand hier 1960 L. Hadrovics, der den mittelgriechischen Text als Übersetzung aus dem Slavischen erwies. Schon Veselovskij war auf westliche, lateinische Elemente aufmerksam geworden und hatte sie als (erst ab 1203 glaubhafte) Einarbeitungen in einen griechischen Grundtext verstanden. Dagegen hat Hadrovics gezeigt, dass die Vorlage des „serbischen“ Alexanderromans in lateinischsprachigem Milieu als Kompilation aus einer lateinischen und einer griechischen (J. Trumpfs Rezension ε) Quelle entstanden sein muss. Er dachte dabei an den Hof des Anjou-Königs Ludwigs des Großen um 1350, als Kompilatoren erwog er den Hofkaplan János Apród, Diakon von Kokelburg (Küküllő) in Siebenbürgen. Lassen sich ungarische Realia im „serbischen“ Alexanderroman noch mit dem Lateinischen verbinden, so zeigen Fehlübersetzungen und stehen gebliebene ungarische Akkusativzeichen, dass es sich bei der Vorlage des slavischen Textes um eine ungarische Kompilation gehandelt haben muss. Als Übersetzer aus dem Ungarischen ins Slavische erwägt Hadrovics den Hofritter Novak aus Krbava, den er mit Novak Petrović im Kolophon eines kroatischen Missale von 1368 identifiziert.
Außer auf die griechische (Rezension ε) und die lateinische (Rezension J3 der Historia de preliis) Quelle ist D. Christians bei ihrer Edition der Sofioter illustrierten Handschrift auf einen Rest gestoßen, der einer dritten Quelle entstammen müsste. Diese dritte Quelle tritt beispielsweise in der Euanthes-Szene in Erscheinung. Euanthes ersetzt Dandamios früherer Rezensionen, zugleich gilt er als Herr der Insel der Seligen, in welcher Funktion die Antike Kronos oder Rhadamanthys kannte. Euanthes ist ein Beiname des Dionysos, und schon Arrian ließ Alexander den Geburtsort Dionysos’, Nysa, in Indien finden. Der Name des Euanthes hat aber nicht nur mit dem Dionysoskult etwas zu tun, Eirenaios erwähnt ihn in seiner Auseinandersetzung mit Gnostikern; die Häretische Gruppe aber, die Parallele zur Orphik aufwies, waren die Sethianer. Sethianische Spuren finden sich nun durchaus im „serbischen“ Alexanderroman. Nicht nur gilt Euanthes nach Nachkomme Seths, Adam und Eva werden auch als Riesen geschildert, was auf sethianische Gebärmutter und Nabelspekulation zurükgeht (Grab der Urmutter Eva bei Ǧidda mit einer Kultstätte über dem Nabel, vor seiner Schleifung 1928 zuletzt 1917 durch É. F. Gautier beschrieben, Adamspik mit riesenhaftem Fußabdruck auf Ceylon).
Die in griechischen wie lateinischen Rezensionen des Alexanderromans fehlenden Seth-Traditionen können, da schon ε – lange nach Erlöschen dieser Häresie – ins 7. Jahrhundert zu datieren ist, nicht unmittelbar aus den Quellen in den Roman eingeflossen sein. Die häretische Gruppe, die am ehesten als Träger von Seth-Traditionen in Frage kommt, sind die Bogomilen. Eine Verbindung lässt sich über die syrische Schatzhöhle (ܓܙܐ ܡܥܪܬ Mcārat gazzæ) und die armenisch überlieferten apokryphen gnostischen Adamschriften herstellen. Der Weg gnostischen Gedankengutes aus Ägypten nach Armenien hat Epiphanios überliefert, von dort kamen bedrängte Häretiker unter dem Katholikat des Yovhannēs von Ojun nach Bulgarien, Paulikianer durch byzantinische Umsiedlungsmaßnahmen nach Thrakien. Die Verbindung, die L. Hadrovics zwischen Novak Petrović und dem „serbischen“ Alexanderroman hergestellt hat, lässt sich nun auch dadurch stützen, dass Graf Novak sich im Kolophon selbst als kristjanin bekennt, ein Wort, mit dem im 15. Jahrhundert Priester der bosnischen Häresie bezeichnet wurden. Schon 1203 mussten die bosnischen Patarener unter Ban Kulin auf dem Bilino Polje abschwören und geloben, sich hinfort nicht mehr Christen, sondern Brüder zu nennen.
Nun war die bogomilische Häresie gerade bei den Serben nicht verbreitet. Es lässt sich aber zeigen, dass срьбьскыи єзыкь auch die Sprache Bosniens bezeichnen konnte, das Adjektiv срьбьскыи bedeutet ‘volkssprachlich’ und ist nicht unbedingt einem bestimmten Volk zuzuordnen. Ch. A. Van den Berk hatte bereits aus lexikalischen Gründen den „serbischen“ Alexanderroman in katholisches Gebiet, vielleicht nach Dubrovnik, verlegen wollen. Nachdem Hadrovics durch im Alexanderroman reflektierte Ereignisse der ungarischen Geschichte zur Datierung der ungarischen Kompilation um 1350 gelangt war, kann man versuchen, den in keinem anderen Alexanderroman zu findenden Schluss mit einem Giftmord ebenfalls mit zeitgenössischen Ereignissen in Verbindung zu bringen. Das gelingt für die Wirren nach dem Tode König Ludwigs des Großen mit der Ermordung des gekrönten Nachfolgers Karls II. Auf Grund der berichteten Ereignisse müsste der „serbische“ Alexanderroman dann zwischen dem 25. Juli 1386 (Tod der Königsmörder Gorjanski und Forgách, im Roman von Levkaduš und Vrionuš) und dem 14./15. Januar 1387 (Hinrichtung Elisabeth Kotromanićs, die zum Mord angestiftet hatte, während im Roman Minerva straflos bleibt) abgeschlossen worden sein. Adressat des Romans wäre dann vielleicht der in Krieg wie Diplomatie erfolgreiche bosnische Herrscher Tvrtko.
 

11. Aquileia und die Slavenmission
Bisher hat fast das gesamte Forschungsinteresse an den Freisinger Denkmälern dem zweiten (FD II) gegolten, das literarisch am anspruchvollsten ist und nach dem Konsens der Mehrheit der Forscher mit Texten der kyrillomethodianischen Mission, insbesondere der Homilie zum Gedächtnis eines Apostels oder Märtyrers Kliment von Ochrid in Beziehung steht. Der Versuch I. Grafenauers, FD II Paulinus II., dem Patriarchen von Aquileia (787–802), zuzuschreiben, überzeugt nicht, da Paulinus wohl als hervorragender Latinist galt, nicht aber als Kenner des Griechischen, andererseits aber Gregor von Nazianz vonn F. Grivec in FD II als Quelle nachgewiesen worden ist.
Für FD III hingegen könnte eine Autorschaft Paulinus’ erwogen werden, zumal die Rolle Aquileias bei der Slavenmission unstrittig ist. FD III enthält neben einem Beichtformular im Anschluss an eine Absage an den Teufel, die zum Taufgelöbnis gehört, ein sehr knappes Glaubenssymbol. Wenn man dieses gegen I. Grafenauer in der überlieferten Form ernst nimmt, ergibt sich eine auffällige Betonung der Beteiligung der Zweiten Person am Schöpfungswerk, während andere sonst wesentliche Glaubensaussagen fehlen. Nicht einmal der Name Christi, der von Papst Nikolaus I., gestützt auf Acta 19,5, für so wichtig gehalten wurde, dass er allein als Taufformel hinreichen könne, wird genannt.
Ein Glaubenssymbol, das die Trinitätslehre und die Homousie des Sohnes besonders hervorhebt, käme sinnvollerweise bei der Taufe von Häretikern wie den (langobardischen) Arianern zum Einsatz, da diese die Gleichrangigkeit des Sohnes in Frage stellten, nicht aber für die Taufe heidnischer Slaven. So wäre eine Verwendung nach 698, als die Synode von Pavia den langobardischen Arianismus beseitigte, gut vorstellbar.
Der Massenansturm von Slaven zur Taufe nach den Avarensiegen Karls des Großen machte zu einer Zeit, als noch nur zu Ostern und zu Pfingsten getauft werden durfte, eine kurze Taufformel notwendig. (Eine andere Lösung fand Papst Nikolaus I. später für Bulgarien, als er angesichts der großen Zahl von Täflingen Zugeständnisse bei den Taufterminen machte.) Möglicherweise ist aus solch äußerem Anlass Ende des 8. Jahrhunderts die einst für die Bekehrung der Langobarden geschaffene kurze Formel in Aquileia ins Slavische übersetzt worden. Für einen langobardischen Hintergrund könnte auch die Orthographie sprechen, die bisher als vom Bairischen beeinflusst verstanden worden ist. Das Langobardische kannte nämlich wie das Bairische Medienverschiebung.
Mit der folgenden Beichtformel ist das Glaubensbekenntnis wohl erst später zusammengefügt worden, nachdem auch in althochdeutschen Texten des 10. und 11. Jahrhunderts eine solche Kontamination üblich geworden war.
 
12. Ex Armenia lux
Heute wird allgemein angenommen, dass Konstantinos-Kyrillos der Schöpfer der glagolitischen Schrift sei. Die Schaffung einer neuen Schrift für die Mission war im 9. Jahrhundert unerhört, was Zeitgenossen bestätigen, denn seit Jahrhunderten hatte es keine neuen Liturgiesprachen mit neu geschaffenen Schriften mehr gegeben: das koptische, das gotische oder spätere kyrillische Alphabet sind Adaptationen der griechischen Schrift an das Lautsystem der jeweiligen Sprache. Die Ausnahmestellung teilt das Glagolitische lediglich mit dem Armenischen (und dem Georgischen). In beiden Fällen gilt die Schrifterfindung nicht als Menschenwerk, sondern als göttliche Offenbarung. Die Erfindung in der von der Tradition behaupteten extrem kurzen Zeit von einigen Monaten ist ein weiteres Indiz des Wunderbaren.
Prinzipiell gilt, dass Schriftsysteme, die von anderen Sprachen übernommen werden, die Phoneme der Sprache, für die sie neu verwendet werden, nur unvollkommen wiederzugeben vermögen (z. B. die etruskische Schrift für das Lateinische, die lateinische für das Tschechische). Neuschöpfungen können hingegen das Phonemsystem der Sprache, für die sie gemacht werden, im Prinzip vollkommen wiedergeben. Diese Meinung ist unter Slavisten für das Glagolitische weit verbreitet.
Erstaunlicherweise kann sich aber kaum ein Schrifterfinder von dem freimachen, was er als Vorwissen mitbringt. So ist Sikwayi, der für das Cherokesische eine perfekte Silbenschrift ersann, die Ausnahme, denn er war Analphabet und war somit frei von Interferenzen durch andere Schriftsysteme. Alle anderen Schrifterfinder lassen mehr oder weniger erkennen, in welcher Schriftkultur sie groß geworden sind. Das gilt auch für Mesrop-Mašt‘oc‘, von dem die Armenier glauben, er habe eine vollkommen phonematische Schrift ersonnen.
Es zeigt sich nun, dass die glagolitische Schrift in der ältesten zu erschließenden Form die anzusetzenden slavischen Phoneme unterschiedlich gut bezeichnet. Eine genaue Analyse erweist, dass die glagolitische Schrift für alle Phoneme des Slavischen, die auch im Armenischen vorhanden sind, zufriedenstellende Darstellungsmöglichkeiten gefunden hat, während für Phoneme, die das Slavische kennt, nicht aber das Armenische, solche befriedigenden Lösungen fehlen. Offensichtlich war der Erfinder der glagolitischen Schrift also mit dem Lautsystem des Armenischen vertraut.
Bei der bekannten ablehnenden Haltung der Romäer gegenüber „Barbaren“-Sprachen ist aus diesem Befund der Schluss zu ziehen, dass der Erfinder der slavischen glagolitischen Schrift, also Konstantinos-Kyrillos, vielleicht armenischer Herkunft war. Das überrascht kaum, war doch das Herrscherhaus selbst zu seiner Zeit armenisch bestimmt; alle namentlich Bekannten aus Konstantins Umgebung waren zumindest teilweise armenischer Herkunft. So mag es weniger gewagt erscheinen, Konstantinos zuzutrauen, dass er die Sprache seiner armenischen Vorfahren noch sprach.
Auf diesem Hintergrund überrascht auch weniger, dass J. Schröpfer 1964 in der Vita Methodii Anleihen aus der armenischen Literatur (von Faustos von Byzanz) nachweisen konnte. Es ist also nicht nur bei Konstantinos-Kyrillos selbst, sondern auch bei seinem Umfeld, noch mit Kenntnis des Armenischen zu rechnen.
 
13. Konstantin und die hunnische Bibelübersetzung
Die Konstantinsvita berichtet, Konstantinos habe in Cherson (dem heutigen Sevastopoľ) Evangelium und Psalter in „russischen“ Buchstaben gefunden. Nach kontroverser Diskussion hat sich in der Slavistik die 1935 von André Vaillant vorgetragene These, die Lesung руськыми beruhe auf einer Verschreibung für сурьскыми ‘syrischen’ fast völlig durchgesetzt.
Dabei ist aber der Kontext dieser Szene nicht hinreichend gewürdigt worden: der Vita zufolge studiert Konstantinos in Cherson Hebräisch, eine Sprache, die ihm am Hofe der Chazaren, wohin er unterwegs ist, von Nutzen wird sein können. Darauf folgt als erstes Sprachwunder seine Fähigkeit, samaritanische Texte nur nach kurzem Gebet zu lesen. Das Lesen syrischer Texte nach hebräischen und samaritanischen wäre schwerlich mehr als Wunder berichtet worden. Die „russischen“ Texte aber versteht Konstantinos auch nur nach Hinzuziehung eines native speakers. Die Vita berichtet ferner, Konstantinos habe einen Informanten benötigt, weil er sich außer Stande sah, zwischen Konsonanten und Vokalen zu unterscheiden. In semitischen Schriften mit ihrer supra- und infralinearen Vokalisation wäre solch ein Unvermögen unvorstellbar. Es muss sich also um eine Schrift mit linearer Vokalisation handeln.
Nimmt man ferner die Italische Legende ernst, die behauptet, Konstantinos habe sich in Cherson aufgehalten, um die Sprache dieses (d.i. des chazarischen) Volkes zu lernen („gratia discendi linguam gentis illius"“, so liegt der Schluss nahe, dass das „Russische“ die Sprache der Chazaren gewesen sein könnte. Diese aber war nach dem Zeugnis arabischer Schriftsteller keine andere als die der Bulgaren.
Der Reiseweg Konstantins führt diesen an den Kaukasus, wobei unter dem Kaspischen Tor hier eindeutig der Engpass im südlichen Elbrus-Massiv im Westkaukasus zu verstehen ist. Dort aber saßen damals Schwarzbulgaren, deren heutige Nachfahren die Karatschaier und Balkaren sind. Aus diesem Raum gibt es auch Schriftfunde, die denen der Protobulgaren aus dem Dobrudscha-Raum stark ähneln.
Offensichtlich handelt es sich bei der so genannten „russischen“ Schrift um eine alte bulgarische. Die bulgarische Schriftlichkeit geht auf den Missionsversuch eines Armeniers, Bischof von Arrān (dem heutigen Azerbaidschan) zurück, dessen syrisch überlieferter Name Qarduṣat, auf Griechisch Theokletos lautete. Dieser soll Zacharias Rhetor zufolge 24 Jahre nach der Gefangennahme und Hinwegführung von syrischen Christen nach der Einnahme von Amida (heute Diyarbakır) durch die Perser den Verschlepptem über die Berge in das Gebiet der „Hunnen“ nördlich des Kura/Mtkvari gefolgt sein; manche habe er bekehrt, Schüler gewonnen, und nach sieben Jahren des Wirkens sei es ihm mit seinen Schülern gelungen, die Bibel in die Sprache der „Hunnen“ zu übersetzen.
Unter „Hunnen“ sind bei Zacharias Sabiren zu verstehen, was offenbar ein anderer Name für die Schwarzbulgaren ist. Das nach arabischen Quellen blühende Christentum nördlich des Kaukasus fand erst mit der chazarischen Eroberung des Raumes in der zweiten Hälfte des 7. Jahrhunderts ein Ende.
Für die Verwendung des „Russen“-Namens für die Schwarzbulgaren im Nordkaukasusraum lassen sich persische Quellen anführen. Der Name selbst ist dabei von dem der nordischen Rus’ zu trennen. Ibn Rustahs دهساس d.hsās sind schon früher als رهساس ruhsās ‘Weiß-Jassen’ gedeutet worden. Wir wissen, dass bei den Jassen (Alanen) die Königsfamilie bulgarischstämmig war und dass Kaukasusbulgaren sich selbst als Alanen bezeichneten. Es wäre also das Vorderglied des Kompositums ruhs-ās, das sich in der Bezeichnung der bulgarischen Schrift als „russisch“ wiederfindet. Konstantinos hätte mithin in Cherson Evangelium und Psalter in (proto-)bulgarischer Sprache vorgefunden, was seine Ratlosigkeit angesichts des Fundes erklärt.

14. Zur Rekonstruktion des slavischen Synaxarions
Die Slavistik hat sich bisher mit den ältesten slavischen Denkmälern kaum unter liturgiewissenschaftlichem Aspekt beschäftigt, obwohl das Problem wiederholt gesehen worden ist, so für den Apostolos von Enina bei Emilie Bláhová, Joseph Schütz und Olga Nedeljković. Der Apostolos von Enina enthält nun ein Kalendarium, das sich von dem konstantinopolitanischen, wie es sich spätestens bis 750 herausgebildet haben soll, unterscheidet, während andere slavische Texte wie die Jagić-Menäen ihm durchaus folgen.
Die „Fehler“ des Apostolos von Enina stehen aber nicht allein, sie haben ihre Entsprechungen im Ochrider Apostolos, im Ostromir-Evangelion und sogar noch im Bdinski zbornik. Sucht man nach der griechischen Vorlage für den slavischen Heiligenkalender dieser Texte, so kommt man auf die Handschriften P (Patmos 226, 10. Jahrhundert) und H (Jerusalem 40, 10-11. Jahrhundert).
Bisherige Versuche der Datierung der Vorlagen der griechischen Handschriften führen in die zweite Hälfte des 9. Jahrhunderts. Gegenüber dem Zustand von P erweist sich der des Apostolos von Enina als archaischer, weshalb seine Vorlage wegen des Fehlens des Michaelsfestes vom 6. September vor 867 datiert werden kann, andererseits wegen der Nennung von Märtyrern des Ikonoklasmus erst nach 843.
Erstaunlich ist die Nennung des heiligen Märtyrers und Bischofs von Jerusalem, Symeon, am 21. September. Wegen des Festes der Kreuzerhöhung am 14. September wurde das Märtyrerfest entweder auf einen Tag früher (13. September im Apostolos von Enina) oder auf 4 Tage später (18. September in H) oder auf den folgenden Sonntag (also zwischen dem 15. und 21. September) verlegt. Die entsprechende typikale Anweisung war am 14. oder 15. September anzubringen (am 15. im Ochrider Apostolos), keineswegs aber, wie im Apostolos von Enina, am letzten möglichen Termin.
So ergibt sich der Verdacht, dass der Apostolos von Enina auf ein konkretes Jahr referiert, in dem der 21. September ein Sonntag war. Zwischen 843 und 867 kommen dafür nur die Jahre 844, 850, 861 und 867 in Frage. Könnte also das Kalendarium des Apostolos von Enina als Vorlage den konkreten Kalender von 861/62 gehabt haben, den die Slavenlehrer bei ihrer Reise zu den Moravljanen mitgeführt hätten?

15
. Der kyrillomethodianische Festkalender nach dem Zeugnis der Prager Fragmente
Ausgangspunkt der Untersuchung ist die Nachricht des Theophylaktos von Ochrid, die Übersetzung jenes Teils des Triodions, den wir heute als Pentekostarion bezeichnen, sei erst kurz vor 916 durch Kliment von Ochrid vollendet worden. Es stellt sich die Frage, was für hymnographische Texte dann davor, also in kyrillomethodianischer Zeit, bei den Slaven in Gebrauch gewesen sein könnten. Spuren von Älterem findet man an der Peripherie, die nicht den in der Slavia Orthodoxa wiederholt durchgeführten Revisionen bis hin zu einer völligen Harmonisierung mit den griechischen Vorbildern unterlegen ist.
Dazu gehören auch die Prager Fragmente, zwei Blätter sehr schlechten Erhaltungszustandes, die 1855 von K. A. C. Höfler auf der Innenseite des lateinischen Codex A. LX, eines Praxapostolus, den Höfler Herzog Spytihněv zuschrieb, in der Bibliothek des Metropolitankapitels zu Prag entdeckt und 1857 von P. J. Šafařík unter Beifügung von Facsimiles und einiger griechischer und slavischer Entsprechungen in glagolitischer Original- und lateinischer und kyrillischer Umschrift herausgegeben wurden. Alle nachfolgenden Editionen beruhen auf der Šafaříks. Die beiden Blätter stammen von verschiedenen Händen, wobei fol. 1 das ein Palimpsest ist, später beschrieben worden ist; möglicherweise stammt die untere Schrift von derselben Hand wie fol. 2.
Inhaltlich handelt es sich um liturgische Texte der Ostkirche, und zwar auf fol. 2 um Antiphona und ein Kathisma sowie Makarismen, wobei bis auf einen Gesang alle bis heute im orthodoxen Passionsgottesdienst gebräuchlich sind. Problematischer sind die Photagogika (Exaposteilaria) auf fol. 1, die noch dazu in ganz ungewöhnlicher Reihenfolge stehen. Auf das erste, das zu fragmentarisch erhalten ist, um eingeordnet werden zu können, folgen Photagogika für Mittpfingsten, Christi Verklärung, das Fest aller Heiligen, den Sonntag des Blindgeborenen, Christi Himmelfahrt, Pfingsten, die Geburt Johannes’ des Täufers, die Apostel Petrus und Paulus sowie die Entschlafung der Gottesgebärerin. Nach der heutigen Ordnung erwartet man, dass die Photagogika entsprechend ihrem jeweiligen Festinhalt im Pentekostarion oder in den Menaia stehen. Die Vorlage könnte freilich immer noch ein Tropologion sein, also jenes Hymnarion, aus dem Triodion, Pentekostarion, die Menaia und die Oktoechoi hervorgegangen sind.
Dennoch bleibt hier die Einordnung von Christi Verklärung und Allerheiligen zwischen Mittpfingsten und dem Sonntag des Blindgeborenen erklärungsbedürftig. Es lässt sich aber zeigen, dass die heute an dieser Stelle stehenden Sonntage der Samariterin und der heiligen 318 Väter eine Neuerung sind: der Sonntag der Samariterin verdankt seine Existenz einer Entfaltung aus der Lesung zu Mittpfingsten, und das Gedenken der heiligen 318 Väter beanspruchte in älterer Zeit einen nicht von Ostern abhängigen Termin. Andererseits gibt es Beziehungen, die das Fest der Verklärung Christi mit Ostern verknüpfen, was die Einordnung in den Osterzyklus rechtfertigt. Das Fest aller Heiligen schließlich findet wie jedes Totengedenken seinen natürlichen liturgischen Platz im Abendgottesdienst des Samstags, hier offensichtlich am Vorabend des Sonntags des Blindgeborenen.
Die Prager Fragmente werden aus sprachlichen Gründen mit dem westslavischen Raum verbunden, wobei sich in der Slavistik die Verknüpfung mit dem Kloster Sázava unweit Prags fast völlig durchgesetzt hat. Wegen des ostkirchlichen Charakters der Texte hat man bisher meist eine russische Vorlage angenommen, was aber chronologische Schwierigkeiten bereitet und linguistisch kaum, paläographisch mittlerweile gar nicht mehr gestützt werden kann. Der tschechischen Prokop-Legende folgend, die den Heiligen in Visegrád das Kirchenslavische studieren lässt, wird man daher die Vorlage für die Texte der Prager Fragmente eher in Ungarn suchen, wobei Visegrád aus chronologischen Gründen freilich nicht in Frage kommt, wohl aber Marosvár (das heutige Cenad in Rumänien), Oroszlámos (das heutige Aranđelovo in Serbien) oder – näher liegend – das Kloster Veszprém, in dem slavische Mönche Anfang des 11. Jahrhunderts bezeugt sind. Das ungarländische slavische Christentum aber ist, wie die älteste Schichte der magyarischen christlichen Terminologie zeigt, das von der kyrillomethodianischen Mission erfasste.

16
. Vor- und Frühgeschichte der slavischen Hymnographie
Vieles verdankt der christliche Gottesdienst dem jüdischen Vorbild; die Hymnographie, die bereits im Neuen Testament ihren Anfang nimmt, unterscheidet ihn aber von Anfang an, ja die jüdische synagogale Poesie entsteht erst unter christlichem Einfluss. Der Gesang hat dabei neben panegyrischer vor allem exegetische und dogmatische Funktion, weshalb die frühen Dichtungen ebenso wie typikale Anweisungen in den Lektionarien gesammelt wurden. Solche erweiterten Lektionarien wurden auch als Kanonaria bezeichnet.
Das Anwachsen des nichtbiblischen Materials führte im 5. bis 6. Jahrhundert zur Ausgliederung des typikalen Materials in die später Typikon bzw. Synaxarion genannten Bücher, während das hymnographische Material in ein Hymnarion ausgegliedert wurde, für das im griechischen Sprachraum seit dem 9. Jahrhundert der Name Tropologion bekannt ist. Vor allem studitische Mönche des 8. und 9. Jahrhunderts bereicherten das Tropologion um neue Gesänge, bis schließlich alle Tage des Kirchentages besetzt waren.
Keine Kirche bewahrt bis heute Tropologia. Der Musikologe Heinrich Husmann hat an Hand von griechischen Sinai-Handschriften jedoch den Nachweis geführt, dass jene hymnographischen Bücher, die wir heute als Menaia, Triodia, Oktoechos und Parakletike bezeichnen, alle auch als Tropologion bezeichnet werden konnte; es handelt sich um Teilsammlungen, die aus dem Tropologion ausgegliedert wurden, nämlich in ein Monatshymnarion (Tropologion menaion) für den Jahreskreis, ein Dreiodenhymnarion (Tropologion triodion) für den den Osterfestkreis usw. Daneben entstanden Sängerhandbücher, die Hymnen jeweils einer Gattung enthielten: Sticheraria für Stichera, Kontakaria für Kontakia oder Makarismataria für Makarismoi. Mit der Übernahme des studitischen Typikons auch für den Gemeindegottesdienst setzten sich die neuen hymnographischen Bücher allgemein durch.
Handschriften lassen sich als Tropologia bestimmen, wenn sie Hymnen heute unterschiedener Sammlungen und verschiedener Gattungen in einer Handschrift miteinander vereinigen. Dazu gehört das georgische იადგარი  Iadgari, dem zuerst Ḳ. Ḳeḳelidze 1908 seine Aufmerksamkeit schenkte. Bekannter ist es durch Arbeiten von Elene Meṭreveli geworden, die 1980 eine kritische Edition des Denkmals vorlegte. Die Iadgari-Edition zog zahlreiche weitere Untersuchungen nach sich. Charles Renoux verglich das armenische Hymnarion Շարակնոց Šaraknoc‛ mit dem Iadgari, Jørgen Raasted fand Spuren des griechischen Tropologions in Hagiopolites-Handschriften aus Kalabrien und Christian Hannick erwog auch für die slavischen Prager glagolitischen Blätter die Herkunft aus einem Tropologion, während M. A. Momina hier eher an den Überrest eines Kontakarions oder Sticherarions denkt.
Hier nun wird der Versuch unternommen, nachzuweisen, dass die Handschrift RGADA, f. 381, (Sin. tip.), № 131, die bisher als Festtagsmenaion bestimmt wurde, Überrest eines Tropologions ist. Den entscheidenden Hinweis darauf liefert auf fol. 125v die Rubrik, die nach dem Fest der Darstellung Jesu im Tempel (2. Februar) auf den 1. Fastensamstag verweist; Gedenken der Menaia sind also mit solchen des Triodions verbunden, und zwar an genau der Stelle, an der der Übergang auch im Iadgari geschieht, nämlich dem frühest möglichen Termin für den Beginn der Tessarakoste. Das Fehlen der Vorfastenzeit gibt einen Anhaltspunkt für die Datierung der Vorlage (vor 985, vielleicht sogar vor 878), während die Handschrift wegen der Nennung des Festes des heiligen Georg am 26. November, dem Patronatsfest der Kiewer Georgskirche, zwischen 1051 und etwa 1065 zu setzen ist, also rund ein halbes Jahrhundert vor den ersten erhaltenen vollständigen Sammlungen in der Rus’. Diese stehen, wie sich sprachlich zeigen lässt, in einer anderen Übersetzungstradition, die im Falle der Menaia auch originär ostslavisch sein könnte.
Neben den vollständigen bestand weiterhin Bedarf an kurzen hymnographischen Sammlungen, so dass seit demselben 12. Jahrhundert, aus dem die ältesten vollständigen Sammlungen erhalten sind, auch Auswahlsammlungen hergestellt wurden, die bis heute Verbreitung finden. Diese Anthologien trugen in der Rus’ anfangs und noch bis in das 16. Jahrhundert den Tropologion-Namen in der slavisierten Form трефолой.

17
. In quadam civitate, quae lingua gentis illius Dowina dicitur. Versuch einer Neulokalisierung
Elf Jahre sind vergangen, seit Martin Eggers in einer monumentalen Dissertation den Versuch unternommen hat, das Zentrum des traditionellerweise „großmährisch“ genannten Reiches von der March an die Theiß zu verlegen und die aus den Quellen bekannte Hauptstadt „Morava“ mit der „urbs Morisena“ ungarischer Chroniken und damit dem späteren Csanád und heutigen Cenad zu identifizieren. Eggers’ Arbeit ist teils auf heftigen Widerspruch gestoßen, teils auch auf ungeteilte Zustimmung. Hier nun wird versucht, unter Zugrundelegung der Eggers’schen Lokalisierung Moravias auch für eine weitere namentlich bekannte Burg dieses Reiches eine Neulokalisierung vorzunehmen.
Die nur aus den Annales Fuldenses und dem Chronicon des Hermann von Reichenau bekannte Burg Dowina wurde bei der traditionellen Lokalisierung Moravias in Mähren mit Theben (slovak. Devín, magy. Dévény) bei Pressburg (slovak. Bratislava, magy. Pozsony) identifiziert. Die Gleichsetzung stößt jedoch auf sprachliche Schwierigkeiten: das o von Dowina kann nicht aus ě erklärt werden, und alle alten Namensbelege für Theben enthalten in der ersten Silbe einen vorderen Vokal. Dazu kommt das Fehlen passender archäologischer Daten. Eggers hat daher Dowina in der Ungarischen Tiefebene suchen wollen, ohne sich aber auf einen Ort festzulegen. Gegen alle von Eggers erwogenen Gleichsetzungen spricht aber, dass Namen mit o-Vokal in der ersten Silbe die Glossierung der Annales Fuldenses mit id est puella nicht erklären können.
Die Quellen erwähnen Dowina, weil die Einschließung dieser Burg 864 den fränkisch-moravischen Krieg entscheidet. Die bekannten Fakten zum Verlauf dieses Krieges lassen die Vermutung zu, dass Fürst Rastislav unweit der bulgarischen Festung Belgrad (heute Alba Iulia) stand, als er von Westen durch König Ludwig im Tal der Mieresch (rum. Mureş, magy. Maros) eingeschlossen wurde. Dort nun befindet sich die Stadt Diemrich (rum. Deva, magy. Déva), überragt von einem Vulkankegel, auf dessen Spitze sich in in römischer Zeit eine Festung befand. Die heutigen Ruinen stammen aus dem 13. Jahrhundert, Archäologen haben aber eine Erweiterung der römischen Bauten im 9. und 10. Jahrhundert feststellen können.Angesichts der nahen bulgarischen Festung Belgrad dürfte Diemrich die Rolle einer Grenzburg gegen Bulgarien zugefallen sein.
Der heutige Name der Stadt sieht dakisch aus (dak. dava oder deva ‘Burg’, ist aber erst 1269 erstmals belegt und könnte damit magyarisch sein. Älter ist Decidava, wohl die Latinisierung des bei Ptolemaios genannten Δοκίδαυα, das andererseits der von Humanisten gräzisierten Form Dacopolis zu Grunde liegt. Damit scheint vorstellbar, dass der Ort bei der Ankunft der Slaven den Namen *Dava trug, vielleicht neben *Deva.
Das Slavische kannte die Lautfolge ev nur vor Silben mit vorderem Vokal, beispielsweise devętь aus älterem *newntis, während idg. *newos als novъ reflektiert wird. Ein vorgefundenes *Deva hätte somit ebenso wie ein vorgefundenes *Dava als *Dova wiedergegeben worden sein sollen. Die Burg am Orte *Dova hätte slavisch dann *Dovinъgradъ heißen sollen; da im Lateinischen wie Deutschen die Bezeichnung für Burg feminin ist (Burg, civitas, urbs), ist die Überführung von *Dovinъ in Dowina leicht zu verstehen. Das Slavische kennt aber auch eine andere Behandlung der Lautfolge ev in Fremdnamen, nämlich die Ersetzung durch iv (z. B. Pulpudeva ‛Plovdiv’ > Plъpьdiva) oder ěv (belegt ist zumindest das Schwanken zwischen Andreja, Andrěa und Andrie für griech. Ἀνδρέας). Es mag daher neben der slavischen Form *Dova auch eine konkurrierende Form *Děva gegeben haben, die zu der Glossierung id est puella geführt hat.
Wenn Diemrich die Ostgrenze Moravias in Siebenbürgen bezeichnet hat, dürfte sich diese ziemlich genau mit dem mutmaßlichen Herrschaftsgebiet Ajtonys gedeckt haben, das im Westen bis an die Theiß reichte, im Süden bis an die Donau und im Norden bis an die Kőrös, während das Gebiet des gleichfalls gegen den ungarischen König Stephan revoltierenden gyula, den die Slaven Prokuj nannten, sich ostwärts anschloss und die früher bulgarisch kontrollierten Gebiete umfasste. Sicherlich erinnerten sich Slaven hundert Jahre nach dem Untergang Moravias noch einstiger slavischer Staatlichkeit in diesem Raum, so dass es vorstellbar scheint, dass sie Anteil an diesem Aufstand hatten. Vergleicht man zudem die Klage des heiligen Gerhard (magy. Gellért), des ersten katholischen Bischofs von Csanád, über das Wirken von „Methodianistae“ in seiner Diözese, so wird man auch die ostkirchlichen Anfänge Siebenbürgens neu bewerten müssen.

18
. Πρὸς τὸ σαφέστερον. Zu Reformen in der glagolitischen Schrift
Ausgehend von der berümten Stelle in der Legenda Ochridica, an der Kliment die Erfindung klarerer Buchstaben zugeschrieben wird, sollte gezeigt werden, dass es Reformen in der Glagolica gegeben hat, die vielleicht Kliment zugeschrieben werden dürfen. Dass die Erfindung der Kyrillica gemeint gewesen sein könnte, ist abzulehnen: die Kyrillica ist nicht klarer als die Glagolica, zudem selbst in ihren ältesten Zeugnissen zu jung, als dass sie mit Kliment verbunden werden könnte.
Reformen in der Glagolica anzunehmen setzt voraus, dass die Urglagolica Konstantins entgegen verbreiteter anderer Überzeugnung keineswegs vollkommen gewesen ist. Die nachweisbaren Mängel finden ihre Erklärung teils in griechischem und armenischem Schriftdenken, teils in davon unabhängigen Systemfehlern, die nie beseitigt worden sind.
Mit dem Namen Kliments lassen sich nur solche Reformen verbinden, die die Beseitigung von Mängeln in der klassischen Glagolica zur Folge hatten. Der Verdacht stattgehabter Reformen stellt sich bei einander ähnlichen Graphemen der klassischen Glagolica ein, die durch Differenzierung aus einem gemeinsamen Grundzeichen abgeleitet werden können (drittes i- und drittes o-Zeichen, zweites Jerzeichen), außerdem bei Digraphen (Nasalvokalzeichen).
Der Grund für die Notwendigkeit von Nachbesserungen könnte außer in mangelnder Sprachkompetenz bei dem Nichtslaven Konstantin-Kyrill auch darin zu suchen sein, dass das Uraltkirchenslavische Konstantins eine andere Dialektgrundlage hatte als das Klassisch-Altkirchenslavische. Die scheinbaren Mängel der Urglagolica lassen sich durch die Annahme einer ostbulgarischen Dialektgrundlage erklären. Der lange Aufenthalt der Slavenlehrer in Bithynien macht eine ostbulgarische Dialektgrundlage des Uraltkirchenslavischen wahrscheinlich, denn die bithynischen Slaven stammten aus Nordostbulgarien.
Das ñ-Zeichen wird hier als ursprüngliches Graphem für ψ verstanden, das erst in Makedonien zu šč umgedeutet wurde.
Der umstrittene Bestand an urglagolitischen Graphemen lässt sich mit dem aufgrund ihrer Verwendung als Zahlenzeichen anzusetzenden Umfang von 36 Zeichen (4 Enneaden) in Deckung bringen, wobei allein die Position des f und des zweiten ch sich nicht sicher bestimmen lassen.
 
19. Die römische Mission Konstantins des Philosophen. Zur byzantinischen Diplomatie der 60er Jahre des 9. Jahrhunderts
Die Tatsache, dass Konstantin-Kyrill sich von Moravia aus nach Rom und nicht nach Konstantinopel gewendet hat, um seine Schüler weihen zu lassen, hat oft Erstaunen hervorgerufen und hat sogar zu Spekulationen geführt, die Slavenlehrer hätten mit dem Patriarchat von Konstantinopel gebrochen (so Pastrnek). Diese überraschende Wendung findet jedoch eine Erklärung, wenn man berücksichtigt, dass der Konstantin als rhomäischer Diplomat bei dieser Gelegenheit auch die Clemensreliquien nach Rom transferiert hat. Aus dem Wert des Geschenks und unter Berücksichtigung der damaligen Reisezeiten ergibt sich jedoch (anders als bei Uchanova), dass die Transferierung im Auftrage von Kaiser und Patriarch erfolgt sein muss, und dass Konstantin diesen Auftrag bereits vor Antritt der moravischen Mission erhalten hat; es ist sogar wahrscheinlich, dass die Auffindung der Reliquien mit dem Ziel erfolgte, diese nach Rom zu transferieren, um damit politische Ziele zu erreichen.
Über den politischen Auftrag Konstantins lässt sich nur spekulieren. Uchanova rechnet damit, dass das großherzige Geschenk dazu dienen sollte, den Streit um Photios beizulegen. Diese Annahme kann jedoch den Umweg Konstantins über Moravia nicht erklären. Hier wird nun angenommen, dass die Reise Konstantins nach Moravia und Rom dazu dienen sollte, die illyrische und die damit eng zusammenhängende Frage Bulgariens und der slavischen Missionsgebiete zu klären. In diese Richtung deutet die Bereitschaft Photios’ zur Rückgabe der fraglichen Gebiete in einem Schreiben vom Sommer 861. Wenn Papst Nikolaus I. mit seinem Urteil in der Frage der Besetzung des konstantinopolitanischen Stuhls, die er von Zugeständnissen des Reiches hinsichtlich Bulgariens abhängig machte, bis zum Sommer 863 zögerte, so erklärt sich mit dem Warten auf einen rhomäischen Gesandten.
Das plötzliche Interesse Konstantinopels an der Beilegung des Konflikts um das Illyricum findet seine Erklärung in der Gefahr eines neuen fränkisch-bulgarisches Bündnisses, das Anfang des 9. Jahrhunderts zu einer dramatischen Bedrohung für das Reich geworden war und Kaiser Michael I. Rhangabe zur Unterzeichnung des schmählichen Friedens von Aachen genötigt hatte. Auf diesem Hintergrund ist zu vermuten, dass Konstantinopel bereit war, das Illyricum an Rom zurückzugeben, dazu die slavischen Missionsgebiete (Moravia), wenn im Gegenzug seine Ansprüche auf Bulgarien in den aktuellen Grenzen (also unter Einbeziehung von Teilen des ehemaligen Illyricums) anerekannt würden.
Die Frage der slavischen Liturgiesprache stellte sich Rastislav sicher nicht, denn in der ganzen ihm bekannten Welt gab es dafür kein Vorbild. Auch Konstantinopel hatte kein Interesse an der Schaffung einer slavischen Liturgiesprache, denn für die Slaven auf Reichsgebiet wurde sie nicht geschaffen und auch später nicht übernommen. Zum Einsatz kam sie nur in Gebieten, die Rom unterstehen sollte, so dass sich der Verdacht einstellt, dass die eigene Liturgiesprache als Trojanisches Pferd gedacht war, die im römischen Lager Unfrieden stiften und zu Spaltungen führen musste. Dass sich freilich die Methodschüler nach ihrer Vertreibung ausgerechnet nach Bulgarien wenden würden und dass so die Waffe, die die Einheit des Westens untergraben sollte, Slaven und Bulgaren einen und sie bestärken würde in ihrem Widerstand gegen Hellenisierungsbemühungen, konnte auch der listenreiche Photios nicht voraussehen.
 
20. Symeon Stylites
C. Detlef G. Müller vergleicht die Styliten insgesamt mit Magiern, und W. Stewart McCullough attestiert Symeon Stylites († 459) ein Gespür für die Kunst, sich wirkungsvoll in Szene zu setzen. Von diesem Vorwurf ausgehend, wird hier zunächst das Leben Symeons des Älteren dargestellt. Wichtiges Ergebnis ist dabei, dass Symeon seine exzessive Askese nur dank der Hilfe anderer durchhalten konnte. Auch weckte seine Lebensweise neben Bewunderung schon bei Zeitgenossen Zweifel an seiner Integrität und Rechtgläubigkeit; die Zweifel verstummten allerdings nach dem Tode des Heiligen.
Symeon hat zahlreiche Nachahmer gefunden, und das nicht nur im Orient, sondern auch bei Griechen und Slaven. Der erste slavische Stylit war im 10. Jahrhundert Ioann von Rila. Im 13. Jahrhundert wird die Askese Petrs von Koriša, obwohl er nie eine Säule bestiegen hat, in seiner Vita mit dem Stylitentum verglichen. In der Rus’ hat im 12. Jahrhundert Kyrill von Turov als Erster eine Zeitlang als Stylit gelebt, bevor er Bischof wurde. In der Gestalt Savvas von der Višera kennt Russland aber auch ein anderes Stylitentum, das sich im Verborgenen abspielt und frei ist von effektheischender Selbstzurschaustellung, dabei eingebunden in das liturgische Leben der Gemeinde. Ähnliches gilt im 18. Jahrhundert für Serafim von Sarov, den Erneuerer des Starzentums in Russland. Während das Stylitentum im Osten verbreitet war, hat es im lateinischen Westen nie Fuß fassen können; nur ein einziger Fall eines Versuchs, als zu Stylit zu leben, ist aus dem Frankenreich im 6. Jahrhundert überliefert.
Auffällig ist, dass abgesehen von Savva Višerskij und Serafim Sarovskij die Styliten stets die Nähe großer Städte gesucht haben, wo sie Unterstützung und ein Publikum fanden. Der Aspekt des fehlenden sozialen Nutzens solch privater Askese wird auch von Luis Buñuel in seinem Film Simeón del desierto (Mexiko 1965) hervorgehoben.
Nichtsdestoweniger haben die Styliten mit ihrer schroffen Askese Anerkennung und Bewunderung geweckt, und das nicht nur bei Christen: der frühe Islam sah in ihnen Vertreter des wahren Christentums und begegnete ihnen mit Hochachtung, auch heißt es, das Minarett verdanke Form und Funktion den Säulen syrischer Asketen.
 
21. Rьci slovo tvrьdo. Ein Zungenbrecher für Slaven?
Die slavischen Buchstabennamen bildeten — anders als die griechischen, armenischen, georgischen, gotischen oder syrischen — ursprünglich einen fortlaufenden sinnvollen Text, von dem freilich nur fünf Kurzsätze einigermaßen sicher rekonstruierbar sind. Der fünfte wird von den Buchstabennamen für r, s und t gebildet und lautet: rьci slovo tvrьdo. K. Ericsson übersetzte den Satz 1970 mit ‘say a strong word’; dagegen ist einzuwenden, dass slovo im Kirchenslavischen nicht das Einzelwort bezeichnet, sondern ein Syntagma, außerdem legt den Kontext für tvrьdo eher die Bedeutung ‘schwierig’ nahe wie im Čakavischen, Alttschechischen und Altrussischen. So verstand den Satz auch V. Tkadlčík, der ihn 1971 auf die folgenden Buchstabennamen ukъ, frъtъ und chěrъ bezog. Er deutete diese drei unslavischen Wörter als griechische οὐκ, φέρετε und χαῖρε, was allerdings kein sinnvolles Syntagma ergibt. Außerdem steht in frühen Abecedarien statt ukъ als Buchstabenname hic oder ik, so dass kein Monograph für /u/ gemeint sein wird, sondern die Entsprechung zu griechischem Ypsilon, das allein stehend bei Gebildeten damals noch /ü/, nicht /i/, gelesen wurde. Das slavische Alphabet besaß ursprünglich ebenso wie die anderen christlichen Missionsalphabete nach griechischem Vorbild nur einen Digraph zur Darstellung des Phonems /u/. Da es ein griechisches Wort *υκ- nicht gibt, ist wohl an das homophone οἶκος ‛Haus’ zu denken. Auf das unslavische Phonem /ü/ folgt das ebenso unslavische /f/, wobei frъtъ statt als φέρετε vielleicht besser als stärker volkssprachliches φέρτε gelesen werden sollte. Das dritte Wort allerdings beginnt mit dem Phonem /x/, das für einen Slaven nicht schwierig gewesen sein kann. Nun besaß die Glagolica ursprünglich zwei Zeichen für /x/, von denen eines in slavischen, das andere in griechischen Wörtern vorkam. Wie ich bereits in meinem Artikel Ex Armenia lux nachzuweisen versucht habe, war Konstantin-Kyrill möglicherweise Armenier, und auch das Armenische unterscheidet ein einheimisches /x/ von einem /kh/ in griechischen Namen. Konstantin-Kyrill wollte also den Slaven vielleicht eine Realisierung des griechischen χ als /kh/ (und des griechischen φ als /ph/ nahe legen. Die von den drei Buchstabennamen vertretenen Phoneme wären dann /ü/, /ph/ und /kh/, die alle drei für Slaven schwer auszusprechen gewesen sein müssen.
Welches sinnvolle griechische Syntagma hinter den Buchstabennamen *ükъ, phrъtъ und khěrъ zu suchen ist, kann nicht mit Sicherheit bestimmt werden; anbieten würde sich *οἶκον φέρτε χε(ι)ρί, ‘tragt das Haus mit der Hand’. Ein solcher Satz begönne nicht nur in drei aufeinander folgenden Wörtern mit schwierigen Lauten, auch inhaltlich beschriebe er Unmögliches und entbehrte somit nicht jenes sympathischen Humors, der bereits in dem einleitenden Kurzsatz Azъ buky vědě ‘Ich kann die Buchstaben’ erkennbar geworden ist.

22.
Zum Standort des Kroatisch-Kirchenslavischen Ende des 20. Jahrhunderts
Die kirchenslavische Schriftsprache wurde nicht nur für die Slaven Moravias geschaffen, sondern richtete sich, wie dem Brief Rastislavs nach der Konstantinsvita zu entnehmen ist, von Anfang an auch an die benachbarten slavischen Stämme, darunter die Kroaten. Anders als bei den orthodoxen Slaven und den Rumänen stand das Kirchenslavische in Kroatien jedoch in Konkurrenz zu dem als überregionaler lingua sacra prestigeträchtigeren Latein. Wie auch anderswo in der slavischen Welt drangen auch in Kroatien volkssprachliche Elemente in die Schriftsprache ein; im Gegensatz zur Slavia Orthodoxa wurden hier aber die Normierungsbemühungen des 14. und 15. Jahrhunderts nicht rezipiert, obwohl Konstantin von Kostenec die Kroaten in seinem Traktat sehr wohl berücksichtigt hatte. Stattdessen entstand in Kroatien früher als anderswo in der Slavia eine neue Schrift- und Literatursprache als Amalgam aus Kirchenslavisch und der čakavischen, teils auch kajkavischen oder štokavischen Volkssprache, in der auch religiöse Literatur abgefasst wurde. Das gilt in besonderem Maße bei Protestanten. Im Zusammenhang mit der Gegenreformationwurde auch der liturgische Gebrauch des Slavischen vom Vatikan sogar gefördert, allerdings nicht wie bei den Protestanten der slavischen Volkssprache, sondern der neuen kirchenslavischen Norm, die von ruthenischen Gelehrten geschaffen worden war. Dabei dürfte die Tatsache, dass Meletij Smotryc’kyj zur Union übergetreten war, von ausschlaggebender Bedeutung gewesen sein. Von 1631 bis 1893 wiesen daher die glagolitischen liturgischen Bücher aus Kroatien ein ostslavisiertes Kirchenslavisch auf, das zunehmend mit dem von Orthodoxen verwendeten Synodalkirchenslavischen identisch war und sich nurmehr durch den Gebrauch der Glagoljica von diesem unterschied. Erst 1893 führte der glagolitische Priester Dragutin Antun Parčić das Kroatisch-Kirchenslavische des 16. Jahrhunderts wieder in die liturgischen Bücher ein. Das gilt so bis heute, nach 1927 freilich nicht mehr in glagolitischer, sondern in lateinischer Schrift.
Der vorliegende Beitrag untersucht die heute in Kroatien verwendete kirchenslavische Liturgiesprache anhand des Vesperals von 1999 und weist darin eine Fülle von Inkonsequenzen nach. Die Sprache unterscheidet sich kaum von der des glagolitischen Erstdrucks von 1483, nur wenige veraltete Ausdrücke sind ersetzt worden, und das völlig inkonsequnet. In anderen Fällen ist die Sprache des Vesperals von 1999 sogar archaischer als die des Erstdrucks und orientiert sich am Altkirchenslavischen, wobei aus misslungene Gelehrtenkonstrukte nicht fehlen. Derartige Inkonsequenzen waren schon 1983 von Mareš bemerkt worden, der sie jedoch verteidigte und das Fehlen eienr einheitlichen Norm geradezu zur „Norm“ des Kroatische-Neukirchenslavischen erklärte. Anders als bei neukirchenslavischen Texten aus Russland, in denen die Sprache behutsam an das Russische angenähert wird, damit die Texte den Gläubigen verständlich bleiben, erweist sich das aus archivarischem Geist geborene Neukirchenslavische Kroatiens als gelehrte Spielerei und bloßes Decorum der liturgischen Praxis. Die Texte des Vesperals  von 1999 sind in einem Kirchenslavisch gehalten, das hinter den Adaptierungen des Mittelalters zurückbleibt und für sein Verständnis eigentlich ein Studium der Slavistik erfordert.

23
. Das Šafařík-Triodion und das Ende der Digraphie
Die von Konstantin-Kyrill geschaffene Schrift, die Glagolica, wurde in Bulgarien wenige Generationen nach den Slavenlehrern von der Kyrillica abgelöst. Das älteste heute bekannte Denkmal ist das Vatikanische Palimpsest, das frühestens in das 10., eher in die zweite Hälfte des 10. oder Anfang des 11. Jahrhunderts zu datieren und nach Ostbulgarien zu setzen ist. In Makedonien ist das älteste kyrillische Denkmal (abgesehen von Inschriften) der Codex Assemianus, der ebenfalls Ende des 10. oder Anfang des 11. Jahrhunderts datiert wird. Mit dem Schriftwechsel wird daher bereits um das Jahr 1000 gerechnet und meist auch damit argumentiert, die glagolitische Schrift sei schwierig gewesen. Allerdings war auch bisher schon bekannt, dass die Ablösung der Glagolica durch die Kyrillica ein länger währender Prozess war, und noch um die Wende vom 11. zum 12. Jahrhundert in Makedonien glagolitische Denkmäler entstanden sind, etwa das Menaion sinaiticum; glagolitische Textteile fand man schließlich noch im 12. Jahrhundert, so im Ochrider Apostolos. Es ist das letzte Denkmal, das immerhin noch eine ganze Seite in glagolitischer Schrift zeigt.
Dass damit die Geschichte der Glagolica in Bulgarien nicht endet, zeigt das Šafařík-Triodion (РНБ, F. п. 74) der Russischen Nationalbibliothek, der in das zweite Viertel des 13. Jahrhunderts datiert wird. Diese Handschrift enthält drei glagolitische Texte, was zwar seit 1876 bekannt ist, bisher aber zu keinen einschlägigen Untersuchungen geführt hat. Die hier vorgelegte Beschreibung beruht auf Einsichtnahme in die Handschrift im August 2003.
Die glagolitische Schrift in diesem Denkmal ist noch die runde und ähnelt am meisten der des Ochrider Apostolos. Die Texte selbst sind anderweitig schon bekannt und bieten nichts Überraschendes. Wichtig ist hier aber, dass die Texte, die fünf verschiedenen Troparien entstammen, nciht nachträglich eingefügt, sondern von derselben Hand, die auch den kyrillischen Text schrieb, notiert worden sind, wobei der Schriftwechsel im selben Text und sogar inenrhalb eines Wortes erfolgen kann. Das lässt nur den Schluss zu, dass der Schreiber mit beiden Schriften und deren orthographischen Usancen vertraut war. Auf diesem Hintergrund ist die Vermutung Stančevs, die kyrillische Schrift habe sich schon seit 1000 als Alltagsschrift durchgesetzt, nicht zu halten; das Gegenteil scheint der Fall zu sein: es scheint, dass für den Schreiber des Šafařík-Triodions die Glagolica noch Alltagsschrift war, obwohl zu seiner Zeit die Kyrillica schon die Normalschrift in liturgischen Codices war, so dass er bei Unaufmerksamkeit infolge von Ermüdung gelegentlich in die vertrautere und flüssiger zu schreibende Glagolica auswich. Die endgültige Aufgabe der Glagolica ist dann vermutlich mit dem Mongolensturm und der anschließenden Vormachtstellung des Serbischen in Zusammenhang zu bringen.

25. Волхомъ бо нашедшемъ на Словѣни на Дунаиския..Spuren eines vergessenen Volkes im Donaubecken
In der altrussischen Chronik findet sich unter dem Jahre 6406 (= 898) eine Erinnerung an die ungarische Landnahme, in der ein Volk der „Volochen“ (волхї) erwähnt wird, das vor der Eroberung des Karpatenbeckens durch die Ungarn über die pannonischen Slaven geherrscht habe. Die „Volochen“ sind bisher meist unhinterfragt mit Rumänen (Wlachen) identifiziert worden. Die ausführlichere Darstellung der ungarischen Landnahme in der Gesta Hungarorum des Anonymus P. nennt als Vorbewohner des Karpatenbeckens „Sclaui, Bulgarii et Bachii ac pastores Romanorum“. Dabei ist ac nie explikativ, so dass die „Blachii“ eine von den „pastores Romanorum“ unterschiedene Gruppe darstellen müssen.
Gy. Kristó identifizierte 1978 die „Blachii“ mit Rumänen und die „pastores Romanorum“ mit Vertretern des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation, doch dürften fränkische Krieger kaum als „pastores“ zu bezeichnen sein. Da die „pastores Romanorum“ nur westlich der Donau bezeugt sind, wird man sie allerdings auch nicht für Rumänen halten wollen. Die „Blachii“ hingegen sind in Südsiebenbürgen zu lokalisieren, wo ihr Fürst Gelou namentlich bekannt ist. Dieser Name ist aber weder romanisch noch slavisch deutbar, eher (so E. Szentpétery), türkisch. Der Versuch, die „Blachii“ mit bekannten Turkstämmen, die in Siebenbürgen nachweisbar sind, zu verbinden, führt zu keinen eindeutigen Ergebnissen, doch muss damit gerechnet werden, dass sich unter dem Volochennamen eine nicht näher identifizierbare Oγurengruppe (Hunnobulgaren, Onoγuren, Sabiren, Chazaren oder Restavaren) verbirgt, ein vergessenes Turkvolk mitten in Europa.

26. Μόνον μόνως μόνου. Übersetzungsprobleme anhand von Triadika des Theodoros Studites
Anders als die spätere Kirchendichtung des Westens sind die altkirchliche und die auf sie zurückgehende orthodoxe Hymnographie nicht lyrisch, sondern panegyrisch und dogmatisch. Ein Vertreter theologisch anspruchsvoller Dichtung ist Theodoros Studites (759–826). Das gilt insbesondere für seine Triadika, d.h. Troparien auf die heilige Dreiheit, in innerhalb mancher Kanones vor dem abschließenden Theotokion jeder Ode stehen. Der Untersuchung liegen 26 slavische Triadika aus insgesamt drei Oden des Theodoros Studites zugrunde, wobei für 24 davon die griechische Vorlage bekannt ist. Fünf Triadika sind jeweils zweimal übersetzt worden, so dass es nur 19 unterschiedene griechische Vorlagen gibt.
Der Vergleich der slavischen Übersetzungen in verschiedenen Handschriften zeigt das mühevoll Ringen um den theologischen Sinn und die Entwicklung einer theologisch präzisen Terminologie. Schwierigkeiten bereitete aber nicht nur die theologische Terminologie, oft hatten die Übersetzer auch Probleme mit der Grammatik der griechischen Hochsprache. Dennoch haben die namenlosen slavischen Übersetzer die griechischen Ausgangstexte keineswegs blindlings, mechanisch und ohne Verständnis übersetzt, wie man es ihnen manchmal unterstellt hat, vielmehr ist es ihnen in aller Regel gelungen, selbst dann verständliche und theologisch korrekte Texte zu schaffen, wenn sich ihnen – aus welchen Gründen auch immer – der eigentliche Sinn der Vorlage nicht erschloss. Dafür verdienen sie unsere Hochachtung: sie haben mit weit bescheideneren Hilfsmitteln als jenen, die uns heute zur Verfügung stehen, Übersetzungen geschaffen, die oftmals nicht nur nicht schlechter waren als die von uns Heutigen, sondern manchmal die ursprünglichen Texte sogar besser wiedergeben als moderne Übersetzungen.

27.
Wie König Ladislaus Chan Batu erschlug
In russischen Chroniken findet sich zuerst Ende des 15. Jahrhunderts die merkwürdige Erzählung vom Tode Chan Batus in Ungarn durch die Hand des ungarischen Königs Ladislaus. Hier wird behauptet, Chan Batu sei nach Westen gezogen bis zur Stadt Varadin [d.i. Wardein, heute Oradea in Rumänien], die er eingeschlossen habe. Der damalige ungarische König Ladislaus habe auch über Tschechen, Deutsche und das Küstenland geboten, außerdem sei er heimlich orthodox gewesen, getauft vom serbischen Bischof Sava. Angesichts der Notlage seines Landes habe sich Ladislaus gegen die feindliche Übermacht nicht anders zu helfen gewusst, als in seiner Stadt Varadin auf eine Säule zu besteigen und Gott um Hilfe anzuflehen. Von dort oben musste er mit ansehen, wie seine Schwester Rislava vom Feind gefangengenommen und zu Batu gebracht wurde. Auf das Gebet des Königs erschienen ein magisches Ross samt Streitaxt und eine Stimme, die ihm den Sieg verhieß. Daraufhin stieg er von der Säule und schlug den Feind in die Flucht. Chan Batu floh mitsamt der Schwester des Königs bis zu den Ungarischen Bergen, wo es zum Zweikampf mit König Ladislaus kam. In dem Kampf ergriff das Mädchen die Seite des Tataren und wurde daher von ihrem Bruder mit einem Hieb zusammen mit dem Tataren getötet. Nach dem vollständigen Sieg wurden alle Tataren, bis auf die, die sich taufen lassen wollten, niedergemacht und in der Stadt Varadin zum Andenken an das Ereignis eine Säule mit dem Standbild des Königs mit hoch erhobener Streitaxt errichtet, das – so die Chronik – bis auf diesen Tag stehe.
Die Legende erweckte im 19. Jahrhundert das Interesse russischer Historiker, die beste Untersuchung ist noch immer die von S. P. Rozanov von 1916/17. Er glaubte, die Legende sei in Wardein entstanden, und zwar ausgelöst durch einen Tatareneinfall 1282 und ausgehend von einem dort vorhandenen Reiterstandbild, angereichert um Motive aus der Legende des heiligen Königs Ladislaus (1077–1095). Die mündliche Überlieferung sei von einem Serben aufgezeichnet worden und von Serbien Mitte des 15. Jahrhunderts nach Russland gekommen.
In der vorliegenden Arbeit wird versucht zu zeigen, dass in die Sagengestalt des Ladislaus mehrere historische Herrscher eingeflossen sind: neben Ladislaus dem Heiligen auch Ladislaus IV. (1272–1290) und Ladislaus V. Postumus (1440–1457), der tatsächlich außer über Ungarn auch über Tschechen und Deutsche herrschte, ferner auch der siebenbürgische Woiwode Andreas Lackfi, der 1342 nach einen Sieg über Tataren zur Landnahme in der späteren Moldau schritt, dann der moldauische Hospodar Ladislaus (Laţco, 1365–1374), der tatsächlich kryptoorthodox war, und schließlich der größte Herrscher der Moldau, Stefan der Große (1457–1504), der 1475 Siege über Tataren und Türken errang. An ihn erinnert ein scheinbarer Fehler in einer russischen Variante der Legende aus Smolensk, wenn sie Chan Batu den Tod in Ungarn von der Hand des Königs Stefan erleiden lässt. Auch in die Gestalt Chan Batus sind mehrere historische Personen eingeflossen: zunächst den Kumanenhäuptling Osul, gegen den Ladislaus der Heilige kämpfte, dann der historische Chan Batu, dann der Tatarenfürst Athlamos, der auch im serbischen Alexanderroman eine Rolle spielt, schließlich Meḥmed Hōǧa, dessen Hinrichtung 1358 zwei Jahre später zum Ende der Dynastie der Batuiden führt.
Ferner betrachtet die vorliegende Untersuchung auch die moldauische Überlieferung zum Legendenkreis um König Ladislaus und Chan Batu bis zur Nacherzählung der Legende bei Dimitrie Cantemir (1673–1723). Es erweist sich als wahrscheinlich, dass die Legende, wie sie in russischen Chroniken vorliegt, in der Moldau und unter Stefan dem Großen entstanden ist, und zwar im Kontext eines moldauischen Anspruchs auf das Erbe Roms, nachdem Tărnovo, das sich, bevor es 1393 von den Osmanen erobert wurde, als Neues Konstantinopel verstanden hatte, untergegangen war, und bevor Moskau den Anspruch erhob, nach Konstantinopel das Dritte Rom zu sein.

28.
Dalmatinische Bezüge im „serbischen“ Alexanderroman
Der sog. „serbische“ Alexanderroman ist zuerst 1389 im Nachlass eines Kaufmanns aus Zadar bezeugt, also aus demselben schicksalhaften Jahr, als die Schlacht auf dem Amselfeld die serbische Selbständigkeit beendete. Die bedeutendste christliche Macht des Raumes, Ungarn, mit dem Kroatien und Dalmatien in Personalunion verbunden waren, war nach dem Tode Ludwigs des Großen 1382 zerstritten zwischen Anhängern des Luxemburgers Sigismund, der mit Ludwigs Tochter Maria verlobt war, und dem Anjou Karl von Durazzo, der von Ludwig vor der Geburt Marias zum Banus von Kroatien und Dalmatien ernannt und damit zum Nachfolger des Königs designiert worden war. 1375 hatte Karl zwar auf die Thronfolge in Ungarn verzichtet und dafür seine Ansprüche auf das Königreich Neapel anerkannt bekommen, dennoch holte ihn die Partei der Unzufriedenen unter Leitung des Priors des Johanniterordens, Ivan Paližna, und der Brüder Ladislaus und Ivan Horvat nach Ungarn, wo er am 31. Dezember 1385 in Stuhlweißenburg zum ungarischen König gekrönt wurde. Nur fünf Wochen später fiel er einem Mordkomplott, bei dem auch von Gift gemunkelt wurde, zum Opfer. Zu den Drahtziehern des Komplotts gehörte die Witwe Ludwigs, Elisabeth Kotromanić. Nach der Ermordung Karls II. kam es in Kroatien, Slavonien, Bosnien und Dalmatien zur offener Rebellion, wobei sich die Rebellen der Unterstützung durch den bosnischen König Tvrtko versicherten. Der Bürgerkrieg sollte bis 1403 währen, als es Sigismund schließlich gelang, die Aufständischen zu schlagen; Karls Sohn Ladislaus von Neapel ging außer Landes, nachdem er die von ihm gar nicht mehr kontrollierten dalmatinischen Städte an Venedig verkauft hatte.
Die hier skizzierten politischen Ereignisse nach dem Tode Ludwigs des Großen haben Niederschlag im „serbischen“ Alexanderroman gefunden. Auf den Einfluss der Zeitpolitik auf den „serbischen“ Alexanderroman hatte schon 1960 der ungarische Slavist László Hadrovics im Falle der Ersetzung des Skythenfeldzugs durch einen gegen Kumanen unter Athlamos (gemeint sind Tataren) hingewiesen, erneut Trunte 1994 für die Giftmordszene im Alexanderroman, die nach den tatsächlichen Ereignissen im Zusammenhang mit der Ermordung Karls II. gestaltet ist. Weitere Parallelen weist die vorliegende Arbeit auf. So passt der Katalog der Verbündeten Alexanders ziemlich genau zu den Anhängern Karls II., ebenso der Zug Alexanders nach Rom zu dem Karls II. von 1378. Der Alexander des „serbischen“ Alexanderromans ist mithin nach dem Vorbild Karls II. gestaltet, und der Adressat des Werkes kann nur König Tvrtko sein, so wie der vorausgegangene hypothetische ungarische Alexanderroman laut Hadrovics Ludwig dem Großen gewidmet gewesen sein soll und die mittelgriechische Version aus dem Slavischen, wie Kristophson wahrscheinlich gemacht hat, dem albanischen Nationalhelden Gjergj Kastrioti Skënderbeu. Tvrtko und Skanderbeg verbindet ihr Kampf gegen die Türken, nach byzantinischer und danach auch slavischer Terminologie: die Perser.

29. я҆́сенъ сотворѧ́ти ра́зyмъ. Theorie und Praxis der Übersetzungen des Paisij Veličkovskij
Das Hauptwerk des neuen Heiligen Paisij Veličkovskij (1722–1794) ist sicherlich seine fast vollständige Übersetzung der Φιλοκαλία unter dem Titel Добротолю́бїе, ein Werk, das auf die russische Starzenbewegung ungeheuer befruchtend gewirkt hat. Paisij hat aber nicht nur übersetzt, sondern auch theoretische Erwägungen zum Übersetzen vom Griechischen in das Kirchenslavische angestellt. Eine Schwierigkeit sah er dabei im Fehlen eines bestimmten Artikels im Slavischen, was sich aber durch die Verwendung von Pronomina und den bestimmten Formen von Adjektiven und Partizipien ausgleichen ließ; schwerer wog oftmals die Unmöglichkeit, zwischen Subjekt und Objekt zu unterscheiden (Homonymie von Nominativ und Akkusativ bei Maskulina auf -ъ, Feminina auf und Neutra). Hier ersann er, angeregt vom Syrischen, als Abhilfe diakritische Punkte zur Markierung des Objekts, eine Praxis, die teilweise offenbar noch von seinen Schülern fortgeführt wurde.
Paisij fühlte sich dem Prinzip der wortwörtlichen Übersetzung verpflichtet, war sich aber bewusst, dass die Befolgung dieser Regel in Konflikt mit den Eigenarten der Zielsprache führen konnte und entschied sich in seinen Erwägungen zur Übersetzungstechnik im Zweifelsfall für die Beachtung der Regeln der Zielsprache. An ausgewählten Beispielen wird gezeigt, wie weit Paisij vom Prinzip der Wortwörtlichkeit abzuweichen bereit war. Auffällig sind dabei vor allem neu gebildete Komposita, die ihm offenbar klarer schienen als die traditionellen.
Das Prinzip der Wortwörtlichkeit erstreckte sich freilich nicht auf griechische Vorlagen in der Volkssprache. Obwohl er manchmal durchaus Russismen gebrauchte, wo ihn klarer schienen als die kirchenslavischen Konstruktionen, sah er inm zeitgenössischen Russisch offenbar nicht das Pendant zur griechischen Volkssprache und übersetzte daher auch diese Vorlagen ins Kirchenslavische. Die slavische Sprache war für ihn nur eine: die kirchenslavische, die einzelne Elemente aus dem Russischen entlehnen konnte, nie aber ihren grundsätzlich kirchenslavisch-hochsprachlichen Charakter verlor.
Paisij war allerdings der letzte mit diesem Sprachverständnis: nur ein halbes Jahrhundert nach seinem Tode hat sich nicht nur in der Welt das Russische gegen das Kirchenslavische völlig durchgesetzt, 1847 erschien sogar der erste Band der Werke des Heiligen in der neurussischen Übersetzung des Starzen Makarij.

30
. Rhomäische Kaiser in slavischer Hymnographie – Zeugnisse eines schwierigen Verhältnisses
Die orthodoxe Hymnographie besingt nicht nur Märtyrer, Wüstenväter, Kirchenlehrer und alttestamentliche Propheten, sondern auch rhomäische Kaiser. Zuvörderst gilt das für Konstantin den Großen, der zwar erst auf dem Totenlager die Taufe empfangen hat, der aber wohl schon 312/13 persönlich die Hinwendung zum Christentum vollzogen hat. Von der Heiligkeit Konstantins des Großen leitet sich die aller späteren rhomäischen Kaiser ab. Obwohl für die Gültigkeit der Kaiserwürde die Akklamation durch Heer, Senat und Volk für konmstituierend erachtet wurde, agierten diese drei im Verständnis der Zeit doch nur als Werkzeuge Gottes bei der Erwählung des Kaisers.
Hatte Kaiser Konstantin noch das Attribut divus für sich vermieden, zeigten seine Nachfolger in dieser Hinsicht weniger Scheu. Im 9. Jahrhundert konnte die Heiligkeit des Kaisers nicht nur durch θεῖος, sondern bereits durch das Adjektiv ἅγιος bezeichnet werden. Anspruch auf den Titel der Heiligkeit hatten die Kaiser seither allein aufgrund des Amtes, was aber nicht bedeutete, dass sie ähnlich wie Konstantin der Große und seine Mutter Helena von der Kirche als Heilige kommemoriert worden wären. Eine Ausnahme bildet hier die Kaiserin Theodora II. nebst ihrem damals freilich noch minderjährigen Sohn Michael wegen ihrer Rolle bei der Wiederherstellung der Ikonenverehrung. Theodoras wird nicht nur am 11. Februar in einer Synaxarnotiz gedacht, sondern eben auch am Sonntag der Orthodoxie.
Die vorliegende Arbeit vergleicht hymnographische Aussagen zu Kaiserin Theodora II. und ihrem Sohn Michael in griechischen und slavischen Triodienhandschriften. Dabei fällt auf, dass vor allem slavische Handschriften aus Bulgarien die Kaiser unterschlagen und durch eine Synode, die die Ikonenverehrung wiedereingeführt habe, ersetzen. Das passt zwar zu entsprechenden Ersetzungen auch anderer hymnographischer Aussagen z. B. im Ἀκάθιστος Ὕμνος, doch erweist die genauere Untersuchung, dass solch „demokratische“ Lösungen bereits in den griechischen Vorlagen der slavischen Übersetzungen vorhanden waren. Es ist also Vorsicht geboten, denn selbst Ersetzungen, die sich plausibel aus der slavischen Geschichte erklären ließen, können durchaus älter sein, ohne dass das Motiv für die Textveränderung in diesem Falle klar wäre.

31.
Von Levaković zu Karaman. Die Überwindung der babylonischen Sprachverwirrung bei den Kroaten
Das Christentum hat von Anfang an ein besonderes Verhältnis zu Sprache, denn am Anfang seines Siegeszuges stand das Pfingstwunder. Dieses Sprachenwunder soll es auch gewesen sein, das Konstantin-Kyrill zur Schaffung der slavischen Liturgiesprache inspirierte, denn die Byzantiner hatten naturgemäß und nach schlechten Erfahrungen mit Nationalliturgien im Orient keinerlei Interesse an einer slavischen Liturgiesprache.
Nicht besser war die Einstellung zur slavischen Liturgie im Westen. Zwar hatte Papst Hadrian II. sie gebilligt, aber bereits Johannes VIII. machte 880 erste Einschränkungen, und Johannes X. sprach 925 ein erstes Verbot aus. Die legendäre Zuschreibung der Erfindung der glagolitischen Schrift an den hl. Hieronymus sicherte dem Glagolitismus auch darüber hinaus Anerkennung in Kroatien und in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts auch in Böhmen und seinen Nachbarländern. Die Reformatoren führten dann zwar das Slavische (Kroatische, Slovenische) in die Kirchen ein, nicht aber die archaische kirchenslavische Sprache. Dennoch nötigte der Gebrauch anderer Sprachen als des Lateinischen für den Gottesdienst auch die Gegenreformatoren zu Zugeständnissen in der Sprachenfrage. In Kroatien verwendeten sie aber nicht das durch die Reformation diskreditierte Čakavische oder Kajkavische, sondern das Štokavische. Um die Sprachform wurde wegen der Forderung nach Authentizität aber länger gerungen: neben der Forderung der Rückkehr zur „lingua illyrica antiqua“, d.h. dem Čakavisch-Kirchenslavischen, stand das Bemühen eine Kompromisssprache auf der Grundlage der Volksdialekte, aber auch die Option der Übernahme der Ergebnisse der ruthenischen Philologie (Smotryc’kyj-Grammatik). Letztere Möglichkeit setzte sich durch, und schon die Missale-Ausgabe Levakovićs von 1631, die von Papst Urban VIII. nicht nur gebilligt, sondern auf sein Geheiß angefertigt wurde, weist eine Sprache auf, die sich dem Kirchenslavischen der ostslavischen Redaktion annähert, weit mehr noch tut dies die Missale-Ausgabe Karamans von 1741. Josip Hamm spricht von einer „russifizierten Redaktion des Kirchenslavischen“ und „potpuno odvajanje crkvenog jezika od općeg kulturnog (i političkog) zbivanja u narodu“.
Die vorliegende Studie zeigt, dass diese Einschätzung relativiert werden muss. Die Ostslavisierung erstreckt sich fast nur auf die Graphie und Orthographie (Differenzierung glagolitischer Zeichen durch Diakritika, um genaue Entsprechungen zur kyrillischen Graphie zu ermöglichen, aber auch um Uneindeutigkeiten der glagolitischen Schrift zu beseitigen). Daneben ist von der Ostslavisierung vor allem die Lexik betroffen, und zwar nicht nur für Fachtermini, sondern auch im Allgemeinwortschatz. Dennoch kommt es zu keiner blinden Übernahme der Ergebnisse der ruthenischen Bibelphilologie, die kirchenslavischen Bibeltexte werden nach der Vulgata korrigiert.
Dennoch ist die Ostslavisierung insgesamt gering und meist für den Rezipienten, da es sich um Änderungen der Orthographie handelt, gar nicht wahrnehmbar. Außerdem lässt sich zeigen, dass sogar Diakritika eingeführt worden sind, die bei Übernahme der ostslavischen Graphie doch weiterhin die traditionelle kroatische Realisierung der Grapheme ermöglichen.
Erst 1893 wurde diese „russifizierte“ Sprachform aufgegeben, und der glagolitische Priester und Dragutin Antun Parčić durch das Čakavisch-Kirchenslavische des 16. Jahrhunderts ersetzt. Tatsächlich aber hat Parčić an der Sprachform, was die Lexik anbetrifft, kaum etwas geändert; seine Reform besteht vor allem darin, die ostslavischen Vokalisierungen der reduzierten Vokale zu beseitigen und durch Jer in starker wie in schwacher Position zu ersetzen, wobei ihm auch Fehler unterlaufen. Die von Hamm „novohrvatska redakcija“ genannte Sprachform ist damit sogar archaischer als die des Missales von 1483, es ist ein typisches Schreibtischprodukt des – wie J. Tandarić ihn nennt – „samouk u slavistici“. Derartige Sprachspielereien setzen sich im 20. Jahrhundrt fort, wo V. Tkadlčík 1972 in Olmütz ein Missale herausbringt, das sich sprachlich an den Kiewer Blättern und den Prager Fragmenten orientiert, daneben aber jüngere tschechische Züge berücksichtigt. Das Missale von 1992 ist gar ganz in runder Glagoljica gesetzt und führt Nasalvokalzeichen und Jerlaute etymologisch richtig verteilt wieder ein. Gegenüber dieser sich immer weiter überbietenden Tendenz zur Archaisierung ohne Rücksicht auf den Rezipienten ist das geschähte, zumindest aber nicht weiter beachtete Missale von 1741 ein Beispiel dafür, wie man in kirchlichen Texten Authentizität und Verständlichkeit miteinander in Einklang bringen kann.
 
32. Muss man als Slavist Esperanto lernen?, oder: Gibt es eine Slavia Esperantica?
Ausgehend von Riccardo Picchios Dichotomie Slavia romana vs. Slavia ortodossa, wobei die Asymmetrie der Benennungen zahlreiche weitere Benennungen (Slavia Latina, Slavia Byzantina, Slavia Judaica, Slavia Islamica) nach sich gezogen hat, wird anhand der griechisch-katholischen Ruthenen, die bulgarischen Paulikianer und der kroatischen Glagoljašen die Schwierigkeit der Zuweisung konkreter Literaturen zu den jeweiligen Kulturräumen illustriert. Picchio selbst lehnte den Terminus Slavia Latina statt Slavia romana ab, weil er das bedeutende deutsche Kulturschaffen Böhmen vergessen lassen könnte. Seine Slavia romana sollte sich also keineswegs auf slavisches (und lateinisches) Schrifttum beschränken; dann aber müsste auch das Literaturschaffen auf Esperanto Berücksichtigung finden. Fraglich ist nur, ob es eine Slavia Esperantica (Slavujo Esperanta) gibt, also einen slavischen Kulturraum, der sich auf Esperanto ausdrückt, oder ob die Esperantoliteratur aus den Slaviae besser als Teil der weltweiten Esperantokultur (Slava Esperantujo) zuverstehen ist.
Esperanto ist mit der Slavia vielfältig verbunden. Nicht nur stammt sein Schöpfer L. L. Zamenhof aus Białystok im heutigen Polen und war seine Heimsprache Russisch, auch die Sprache selbst weist neben nur 29 Wortwurzeln slavischer Herkunft im Grundwortschatz zahlreiche Lehnprägungen nach dem Slavischen auf. Es folgt ein Abriss der Esprantoliteratur mit Nachweis des Anteils der Slaviae (einschließlich Ungarns, das kulturell eng mit der Slavia Latina verbunden ist) daran, der in der ersten Periode (bis 1919) 60% ausmachte, bis heute aber immer noch bei 45% aller Autoren liegt.
Zamenhof hat aber nicht nur eine neutrale Sprache initiiert, Herzensangelegenheit war ihm die Lösung der jüdischen Frage. Die Verquickung von Religion und Nation bei den Juden erkannte er als Ursache des jüdischen Problems und forderte daher die Überwindung des Judaismus durch Rückbesinnung auf die im Judentum etwa bei Ḥillēl vorhandene allgemein menschliche Ethik der Goldenen Regel. Sein theosophisches System stehe allen moralisch denkenden Menschen offen, auch Atheisten. Seine Überlegungen propagierte er seit 1901 unter der Bezeichnung hillelismo, dann homaranismo (‘Allmenschtum’). Durch die Annahme des Esperanto und der neutralen Religion des hillelismo würden die Juden von einem fiktiven zu einem real existierenden neutral-menschlichen Volk, zum Anfang der künftigen vereinigten Menschheit. Zamenhofs Überlegungen stießen zwar bei Katholiken wie bei den überwiegend agnostischen französischen Esperantisten auf Vorbehalte, seine Gedanken finden sich wieder in der sog. interna ideo des Esperanto. In der weiteren Geschichte des Esperanto gerieten Fundamentalisten, die nur das Fundamento de Esperanto gelten lassen wollten und für weltanschauliche Neutralität eintraten, immer wieder in Gegensatz zu Gruppen, die wie Zamenhof selbst in Esperanto mehr als eine Sprache sehen wollten. Dazu gehörte Eŭgeno Lanti und sein sennaciismo (‘Anationalismus’), der zwar eine Wurzel im Anarchismus hat, an die Stelle des Klassenkampfes aber das Ideal der Hebung des Klassenbewusstseins der Proletarier durch Bildung setzte. Auch wenn die Überzeugungen Lantis so wenig wie die Zamenhofs Allgemeingut der Esperantisten wurden, bestimmen doch – wie William Auld 1978 anmerkte – die interna ideo und das Trachten nach der Überwindung der nationalen Beschränkheit das Schaffen der Esperantoschriftsteller, so dass die Esperantoliteratur der Slavia besser als Teil dieser weltweiten Esperantokultur betrachtet werden sollte. Wegen des großen Beitrags von Slaven zur Esperantokultur sind dennoch Slavisten mehr als andere Philologen gefordert, sich neben den slavischen Literaturen und dem Schaffen von Slaven auf Latein auch um das auf Esperanto zu kümmern.
  
 
 
HauptseiteCurriculum vitaeEsperantistische TätigkeitLehrtätigkeit an der UniversitätWissenschaftliche PublikationenInhaltsangaben zu PublikationenMein historischer RomanFontprobleme der SlavistenMeine ReisenKontaktieren Sie mich