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Schulzeit

Nach bestandener Aufnahmeprüfung wechselte ich im Frühjahr 1958 auf das Neusprachliche Gymnasium Gerresheim, wurde aber gleich nach den ersten Tagen wegen einer nie richtig diagnostizierten Gelenkentzündung im linken Knie „zur Beobachtung“ nach Düsseldorf in die Orthopädische Kinderklinik eingeliefert, aus der ich erst zu Weihnachten in deutlich verschlechtertem Zustand (ich konnte gar nicht mehr gehen) „auf Urlaub“ wieder entlassen wurde. Glücklicherweise gab es im Januar 1959 kein freies Bett, so dass ich nicht ins Krankenhaus zu­rückkehrte, sondern meine Eltern mich in ihrer Verzweiflung zu dem Heilpraktiker Dr. Lie­then brachten, der mich kostenlos (das übliche Honorar hätten meine Eltern nicht aufbringen können) innerhalb kurzer Zeit völlig heilte. Eine „Nachuntersuchung“ zehn Jahre später im Krankenhaus bestätigte den Ärzten die vermeintliche Richtigkeit ihrer „Be­hand­lung“ (Ein­gipsen und Liegenlassen). Die nachträglich gestellte Diagnose Knochenmarkentzündung ersparte mir dann aber zumindest den Wehrdienst.

Da ich den größten Teil des Schuljahrs versäumt hatte, geriet ich mit meinen Leistungen vor allem in den Fremdsprachen, Englisch und dann nach anfänglich hier besseren Erfolgen, auch im Lateinischen ins Hintertreffen; die Schwierigkeiten nahmen nach einem Lehrerwechsel vor allem im Englischen noch zu und gefährdeten meine Versetzung. Da meine Eltern für eine reguläre Nachhilfe kein Geld hatten, schickten sie mich stattdessen 1962 zu einem Eng­lisch­kurs an die Volkshochschule. Durch die Lektüre des Kinderbuchs Winnie-the-Pooh gewann ich Freude am Englischen (erste Brieffreundschaften auf Englisch) und dann an Sprachen über­haupt. An einem Wochenende bekam ich Lust auf eine weitere Sprache und lernte Esperanto, für das in der Jugendzeitschrift Liliput einige Jahre zuvor ein Kurs erschienen war, obwohl ich wegen des „Dr.“ beim Verfassernamen Zamenhof vermeinte, es müsse sich um eine Geheimsprache von Ärzten handeln, und ich mit Ärzten nach meinen schlechten Er­fah­rungen eigentlich nichts zu tun haben wollte. Nachdem ich an zwei Wochenenden diese Spra­che gelernt hatte, wandte ich mich dem Spanischen zu, für das meine Mutter einen Fernlehrgang besaß, den sie vor der Währungsreform, als es kaum etwas zu kaufen gab, erworben hatte. Da ich alleine mit dem Kurs nicht zufrieden war, besuchte ich ab 1963 Spanischkurse an der Volkshochschule. Diese Sprache konnte ich erstmals 1965 anwenden, als ich in den Schulferien in einer Feinkostfabrik arbeitete (zu einem Stundenlohn von 1,80 DM, was besser war als die 1,50 DM im Jahr zuvor in einer lärmenden Papierfabrik). Die Feinkostfabrik be­schäftigte außer Schülern nur Gastarbeiter, nur der Vorarbeiter war Deutscher; mit den Spa­niern konnte ich mich gut verständigen, die meisten aber waren Italiener, und so lernte ich als Autodidakt nebenbei auch Italienisch. Ebenfalls 1965 konnte ich meine Esperanto-Kenntnisse vertiefen, nachdem ich in einer Buchhandlung richtige Lehrbücher dafür gefunden hatte, und so fing ich an, auch auf Esperanto Brieffreundschaften zu pflegen. Als weitere Sprache kam ebenfalls 1965 Russisch dazu, das für alle Schulen Düsseldorfs gemeinsam zentral einmal die Woche nachmittags angeboten wurde. Die Lehrerin war Baltendeutsche, der Kurs gut, nur dass sie, um uns den Zugang zu erleichtern, Russisch mit Okan’je beibrachte. Immerhin lernten wir in zwei Jahren genug, dass ich auch auf Russisch Brieffreundschaften pflegen und später beim Slavistikstudium die ersten beiden Semester Russisch überspringen konnte. Mein erstes russisches Buch, das ich freilich damals nur mühsam mit Hilfe eines Wörterbuchs las, war die Kirchenslavischgrammatik von Gorškov. Da ich mich angesichts der seinerzeitigen Schwierigkeiten mit Fremdsprachen und meiner Freude an Naturwissenschaften (ich hatte davon geträumt, Atomphysiker zu werden) für den naturwissenschaftlichen Zweig des Gymnasiums entschieden hatte, fehlte mir noch das Französische. Das konnte ich erst 1967 im Rahmen einer Arbeitsgemeinschaft zumindest in Grundzügen dazuerwerben. Nur kurze Zeit lernte ich auch freiwillig privatissime bei meinem Lateinlehrer morgens in der „nullten Stunde“ (7 Uhr) Altgriechisch, doch endete der Kurs bald, als die anderen beiden Interes­senten aufgaben. Wichtig für meine weitere Entwicklung war das 1961 erschienene Taschenbuch Sprachen von Heinz F. Wendt, der selbst hervorragende Lehrbücher des Türkischen und des Neugriechischen verfasst hat, in der Reihe „Das Fischer Lexikon“. Darin gab es ausführliche Skizzen des Armenischen, Chinesischen, Deutschen, Finnischen, Englischen, Niederländischen, Afrikaans, Schwedischen, Dänischen, Alt- und Neugriechischen, Hindi, Japanischen, Persischen, Lateinischen, Französischen, Italienischen, Portugiesischen, Rumänischen, Arabischen, Alt- und Neuhebräischen, Russischen, Tschechischen, Polnischen, Serbokroatischen, Bulgarischen, Swahili, Türkischen, Ungarischen und Vietnamesischen, dazu Überblicksartikel über afrikanische, germanische, romanische, semitische, finnougrische usw. Sprachen sowie solche zu Phonetik und Phonologie oder Klassifikation der Sprachen. Dieses Buch habe ich im wahrsten Sinne des Wortes zerlesen und mir später ein neues Exemplar gekauft, das aber auch noch teilweise durch Gebrauch zerfallen ist. Nach dem beigegebenen Literaturverzeichnis besorgte ich mir dann einschlägige Lehrwerke, z. B. für Swahili und Chinesisch. Die letzten Sprachen, die ich noch in der Schulzeit gründlicher zu lernen begann, waren Japanisch (nur in Umschrift), das mich auch wegen einer japanischen Brieffreundin, mit der ich auf Esperanto korrespondierte, interessierte, und Bulgarisch als Vorbereitung auf eine ge­plante Reise, zu der mich meine bulgarische Brieffreundin aus Haskovo, mit der ich anfangs noch russisch korrespondierte, eingeladen hatte.

Mein Religionslehrer Dr. Meyer, der unter anderem bei Leo Weisgerber in Bonn Sprach­wis­senschaft studiert hatte, und bei dem ich 1967 an einer Arbeitsgemeinschaft Anthropologie teilnahm, bestimmte die Wahl des Studienortes Bonn und des Studienfachs Allgemeine und Vergleichende Sprachwissenschaft. Nach dem Abitur im Juni 1968 trat ich die geplante Reise nach Bulgarien an, das erste Mal allein.